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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Jetzt sind das Mauern, die die Deutschen mit Inhalt füllen werden, wenn sie denn wollen.
    Ich kehre um. Fahre zu meiner Mutter. Zu meiner Mutter? Zum Deutschen Klub fahre ich. Um die Kehre der Linie fünfzehn herum. Ich fahre zur Stadtmitte. Nach Süden. Zum Deutschen Klub. Zu meiner Mutter?
    Ich sehe die Straße nicht, jemand anders sieht sie mit meinen Augen. Wer ist dieser Dritte, der uns immer nachgeht? Wenn ich zähle, sind wir nur zwei, aber wenn ich hinschaue, geht da immer noch jemand bei dir. Ich umklammere das Lenkrad, sehe die Straße nicht, sehe niemanden.
    Invalidenplatz, Mickiewiczplatz, Danziger Bahnhof.
    Was ist los mit mir?, frage ich einen anderen.
    Passanten, die Straßenbahn fährt, Fuhrwerke.
    Eine Frau im grauen Mantel zieht einen Handwagen, beladen mit Bündeln, sie müht sich ab, niemand hilft ihr, helfen gilt nicht, sie zieht und müht sich sehr und hat ganz helles, fast weißes Haar, wie aus dem Traum eines Nationalsozialisten, solches Haar sollte eine Frau, die einen Wagen zieht, nicht haben, wo gibt’s denn das, eine Blondine als Marktweib? Blondinen sind nicht anfällig für so ein Leben, und die hier zieht den Handwagen und müht sich sehr.
    Ich fahre an ihr vorbei, langsam, mit entsetztem Blick, unsere Blicke kreuzen sich, und das uns angetane Unrecht kreuzt sich, ich erwarte einen schmerzerfüllten, zerrissenen, verzweifelten Blick, den Blick der Verlobten eines geschnappten Aufständischen, seine Tschamara besudelt vom Speichel des Erhängten, Eisenschmuck, das erwarte ich, erwarte meine Hela, sie aber schaut mit trotzigem, wütendem Kaufmannsblick, nicht wie Hela.
    Also wie Salomé. Salomé hätte so einen beladenen Wagen mit dem Blick einer Dame ziehen können.
    Sie wirft mir ihren hasserfüllten Blick zu, ich drehe die Drosselklappe auf und dröhne ab, zum Deutschen Klub, zu meiner Mutter.
    Aber ich biege nicht in die Długa ab. Warum nicht? Das wäre bequemer, aber ich fahre weiter, die Miodowa, dann in die Trębacka. Wird das besser sein?
    Ich biege nicht in die Trębacka ab. Warum?
    Ich fahre weiter die Krakowskie.
    Ich fahre den Nowy Świat. Immer die Hauptstraßen.
    Warum? Ujazdowskie, der Ujazdowskipark, das Spital, Jacek im Spital oder zu Hause, ins Schwarz versunken oder im Spital, wo er Leute flickt und zusammenstückelt?
    Eine Motorradstreife.
    Die Szucha. Ich fahre in die Szucha.
    Wo fährst du hin, ich weiß, Kostek, wo du hinfährst, aber nicht, warum, ich will nicht, dass du dort hinfährst. Fahr nicht dorthin, Konstanty.
    Warum in die Szucha?
    Werde ich in das Gebäude des Ministeriums gehen, wo jetzt die deutschen Geheimpolizisten sitzen? Wo ich Iga rausgeholt beziehungsweise sie ihnen abgekauft habe? Ich habe nichts getan, habe sie bekommen und nach Hause mitgenommen Lump Fischficker Hurensohn Dreckskerl.
    Ich halte an und steige aus.
    Vor dem Ministerium eine Wache, dunkle Mäntel, Gürtel, Gewehre.
    Doch nicht dorthin gehe ich, sondern nach links. Zum Generalshaus.
    Vater. Vater!
    Ich komme.
    Geh nicht! Geh zur Mutter, Kostek, geh nicht zu ihm, geh zu deiner Mutter, strebe zu ihr, geh nicht zu ihm, nein.
    Der Selbstmord des Walery Sławek, das war hier. Eine Browning, Loch in der Schläfe, Tod im Spital, gar nicht lange her, alle Zeitungen schrieben darüber, und die Kaffeehäuser summten vor Gerüchten: Warum? Und war es wirklich Selbstmord?
    «Von wegen Selbstmord, hör mal, von wegen Selbstmord!», dozierte dein Schwiegervater, die Spuren seiner Hand trägst du im Gesicht. «Kein Selbstmord. Banditen sind das, mit Banditen- und Gangstermethoden. Die bringen sich mit Pistolen, mit Messern um die Ecke … Gangstermacht. Dem weine ich keine Träne nach!»
    Auch du hast nicht geweint, aber nicht wegen der Nationaldemokraten, die Zeitungen hast du nur überflogen, was interessierte dich irgendein Sławek, du hattest deine Intrigen in der Ziemiańska, hattest Hela und Jureczek und die Finanzen unter einen Hut zu bringen und Salomé und andere Geliebte und Zeichnungen und Jacek, Iga, die ewigen Probleme der beiden, er versteht mich nicht, ständig arbeitet er nur, was will sie von mir, dass ich faulenze, sollen wir in diesem Jahr in Skiurlaub fahren oder nicht?
    Und im Sommer, wenn das gesellschaftliche Leben erstirbt, wohin? In die Ferienkolonie? Nach Paris? Mit dem Auto nach Ungarn? Vielleicht eine Rallye daraus machen, beim Automobilclub anmelden und organisieren, in den Zeitungen Artikel und Fotos, adrette Automobilisten in Schirmmützen und Pumphosen,

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