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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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Luft stehen bleiben, wie auf einer Nachtaufnahme mit langer Belichtungszeit. Es gibt auch hellere Punkte in diesen Spuren, das sind die Stellen, an denen sie an der Zigarette gezogen hat.
    Du versuchst also, eine Ordnung in diesem Labyrinth glühender Linien zu finden, und weißt immerhin schon, dass die helleren die neusten sind, und die Spuren der Zigarette führen dich ins Treppenhaus und nach oben, in den Dachboden: Dort ist kein Staub, es riecht nur nach frischer Wäsche, feuchte Bettlaken hängen auf den Leinen. Und dazwischen Zigarettenspuren – schließlich siehst du sie, sie lehnt an einem Dachbalken, trägt ein Cocktailkleid, steht da, die Arme wie verflochten, sie weint, die Tränen rinnen ihr über die Wangen, und sie raucht eine Zigarette im langen Mundstück. Du fragst, was los ist, und sie, durch die hasserfüllten, dünnen Lippen: «Hau ab, sonst bring ich dich um», sagt sie, und du weißt, dass sie nicht spaßt. Sie bebt vor Zorn. Also drehst du dich um, erniedrigt und ein wenig erschrocken, und willst gehen, findest aber zwischen den Laken nicht hinaus, sie bleiben an dir kleben, und du macht sie schmutzig mit dem Staub, den du an den Händen und im Haar hast. Deine Mutter wird wütend sein. Am Ende kommst du doch hinunter auf den Hof, hast unterwegs Laken von den Schnüren gerissen. Und draußen, in der Mariacka, bedeckt die Asche alles, sie fällt vom Himmel wie schwarzer Schnee, es ist Tag, aber so finster wie bei einer totalen Sonnenfinsternis. Am Horizont ein riesiger Vulkan, der Feuer spuckt.
    «Steh auf, Konstanty, es ist Zeit», sagt Dzidzia.
    Hat sie dort auf dem Dachboden gewartet, zwischen feuchten Bettlaken?
    Du stehst auf. Du willst meine Stimme nicht hören.
    Ich stehe auf. Also gut. Socken, Unterhosen, Unterhemd. Darüber das Hemd. Stahlgraue Hose. Hosenträger. Ich ziehe die hohen Stiefel über, die Haken lagen griffbereit. Jetzt die Bluse. Der Gürtel mit dem Halfter, ein Gürtel mit zwei Löchern, das Halfter, denk daran, an die linke Seite. Mütze.
    Spiegel.
    Ich heiße Baldur von Strachwitz. Feldpolizeikommissar.
    Ich bin Konstanty Willemann. Im Necessaire verstaue ich einen Zivilanzug, schottische Wolle, dick und braun, auch einen Smoking nehme ich mit. Ich habe eine gute Methode, die Jacke so zu falten, dass sie nicht knittert, die eine Seite kremple ich mitsamt Ärmel um und stecke sie in den anderen Ärmel, dann rolle ich alles um die Unterwäsche herum. Mein Leben, umgekrempelt, unpassend das Necessaire, wie jetzt, ein Necessaire? Wieso ein Necessaire, ein Bündel sollte ich packen, kein Necessaire. Federbetten und einen Sack voll Kartoffeln. Ich werfe noch ein paar Hemden, Socken, Unterwäsche, Zahnbürste, Paste, Seife und Rasierzeug dazu, das reicht.
    Ich gehe ins Wohnzimmer.
    Im einen Sessel der Ingenieur, im anderen Dzidzia, am Fenster der Fahrer.
    «Schön», klatscht Witkowski in die Hände. «Sagen Sie mal was auf Deutsch. Wissen schon, so in militärischem Ton.»
    «Fresst alle Scheiße, ihr Drecksäcke», antworte ich beflissen.
    Dzidzia lacht. Der Fahrer versteht nichts. Der Ingenieur macht ein langes Gesicht. Er steht auf.
    «Gut. Also, Herr Siebenundfünfzig …»
    «Ich heiße Baldur von Strachwitz», unterbreche ich ihn.
    «Ja, ja. Ihr fahrt nach Budapest. Steigt im Hotel Gellért ab.»
    «Gott, wie kitschig», Dzidzia fasst sich an den Kopf.
    «Warum?», wundert der Ingenieur sich. «Ich habe im Baedeker nachgesehen, das ist ein anständiges Haus. Mit eigenem Thermalbad. Ihr meldet euch unter dem Namen von Horn an. Ehepaar von Horn.»
    Dzidzia winkt verächtlich ab. Der Ingenieur begreift nicht.
    «Dort wird euch Oberst Steifer finden, nach unseren Informationen dürfte er schon in Budapest sein. Er ist den Sowjets entkommen. Mit dem Oberst besprechen Sie die folgenden Angelegenheiten … Aber lesen Sie selbst.»
    Er reicht mir ein maschinengetipptes Blatt. Vereinbarung der Kurierverbindung. Aufklärungsmöglichkeiten. Finanzierung. Verlegung nach Frankreich. Aufbau eines operativen Kontakts mit Vertretern deutscher Wehrmachtskreise. Ein Dutzend Punkte.
    «Bitte lernen Sie das auswendig, den Zettel dann natürlich verbrennen. Das wäre alles. Vereinbaren, was zu vereinbaren ist. Dann zurück.»
    Sogar Dzidzia guckt verwundert.
    «Das ist alles?», frage ich. «Keine konkrete Aufgabe, kein Auftrag? Gar nichts? Wenn Steifer nun zum Beispiel nicht aufkreuzt?»
    «Herr Siebenundfünfzig. Sie sind Offizier, kein Korporal. Offizier der Aufklärung. Offizier

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