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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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aufrechtzuerhalten, das gerade zu zerbrechen drohte, und der Pedell, ein großer Mann mit Schnurrbart, führte sie zum Kabinett des Direktors und sorgte persönlich dafür, dass diese Sodomie sich nicht vertuschen ließ. Er verlor später dafür seine Arbeit, denn der Direktor wollte die Sache gütlich beilegen, er war ein Mann von Welt und wusste, dass diese Liebe in der Intelligenz keine Seltenheit war. Der Pedell aber hasste die Jungen aus den Intellektuellenfamilien, er hasste sie mit jedem Tag mehr, weil er seine eigenen lumpenproletarischen Söhne sah, deren Leben in den immer gleichen Bahnen verlief, genau wie seines, er ging damit sogar zur Zeitung, wusste, dass diese Illoyalität ihn die Stellung kosten könnte, und verlor sie prompt, aber die Sache ließ sich nicht mehr vertuschen, und die Jungs flogen vom Gymnasium und waren gebrandmarkt, durch dein Zutun, Kostek, du erinnerst dich nicht, aber deine Berührung, Kostek, am Ärmel des Pedells, deine Worte haben dafür gesorgt.
    Dafür erinnerst du dich, wie die beiden dich gequält haben, du hasst sie noch immer dafür, wie sie sich über deinen Akzent lustig machten, dich in den dunklen Nischen der Schulkorridore geprügelt, dir aus dem Fenster auf den Kopf gespuckt haben, stärker als du, älter und nicht wissend, wozu du fähig bist, nichts ahnend von deiner Geduld und deinem Hass, Kostek. Und sie erfuhren nie, dass du es warst, der ihr Leben zerstört hat, dass der Pedell sie deinetwegen nackt durch die Schule führte und in die Kriminalberichte, weil er danach mehr als gern mit Journalisten sprach, das erfuhren sie nicht, denn dir lag nichts daran, dass sie es erfuhren. Nicht darin sollte deine Rache bestehen.
    Deine Rache sollte damals nicht in deinem persönlichen Triumph bestehen, du wolltest einfach ihr kleines, gemeines Leben zerstören, und ich habe dir dabei geholfen, ich habe dich auf ihre Spur gebracht, bis du sie erwischt hattest, bis du ihren Liebestreffpunkt gefunden hattest und sahst, dass sie sich wirklich liebten, so wie Fünfzehnjährige lieben können, lieben gegen alles und gegen alle.
    Du bist ihnen später wiederbegegnet, einer von ihnen verkehrte in den unteren Sphären der Künstlerkreise, publizierte sogar in der Zeitschrift «Prosto z Mostu», der andere war angeblich nach Berlin gezogen, mehr wusstest du nicht. Und selbst als du mit dem einen am selben Tisch saßest, dachtest du nicht an deine Rache, du hattest es vergessen, auch er dachte nicht daran, wie er dich gequält hatte, denn du hast ihn gebrochen, hast ihm mit dieser Denunziation alle rüde Kraft geraubt. Als er da nackt vorgeführt wurde, verlor er mit jedem Blick, der ihn traf, ein wenig von seiner männlichen Kraft – selbst wenn die Blicke nicht höhnisch waren, und die Mehrheit sah ihn mit Mitgefühl an, denn wegen seiner bekannten Vorliebe für das Malträtieren von Schwächeren war er in der Schule allgemein beliebt.
    Und der, der nach Berlin gezogen war, das weißt du nicht, Kostek, wurde der Geliebte eines gewissen Sturmführers der SA , entging wie durch ein Wunder dem Tod in der Nacht der langen Messer, nur um nach Dachau zu kommen und dort zu sterben. An Typhus.
    Also erzähle ich Jacek vom Ingenieur, davon, dass ich Deutscher werden soll und warum, davon, dass es mir als Deutschem gewiss gelingen würde, Iga rauszuholen, denn ich werde kein x-beliebiger Deutscher sein, es wird mir also gelingen, keine Sorge, Jacek, keine Angst.
    Und er weint, weint, dann schläft er für einen Moment ein, wacht wieder auf, als wäre er nüchtern geworden.
    Ich überlege, ob ich ihn nach dem Foto fragen soll, das ich bei Salomé gesehen habe, Jacek weiß von Salomé, deshalb wäre es nicht übermäßig kompliziert, das zu erklären, aber muss er das wissen?
    Nein, muss er nicht, noch nicht, erst will ich Iga aus diesem Gefängnis holen, ich weiß nicht, wie, aber irgendwie hole ich sie da raus, dann frage ich Iga nach dem Bild, kläre das mit ihr, erhasche dabei eine Spur der alten Intimität, werde weder be- noch verurteilen, sondern verständnisvoll und wohlwollend sein, Iga wird in mir einen Vertrauten haben, der alles verzeiht.
    Also erzähle ich Jacek von Witkowski und der Organisation und so weiter. Aber Jacek hört nicht zu.
    «Du holst sie da raus?», fragt er die ganze Zeit. «Wirklich?»
    Also beruhige ich ihn, lulle ihn ein, wie man ein Kind einlullt. Und gehe, lasse ihn allein.
    Nach Hause, zu Hela, zu Jureczek. Ich gehe, aber so ging ich noch nie, die Stadt

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