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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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weißt, dass sie unerreichbar für dich ist. Sie hat etwas, was du nicht kennst und nicht verstehst, etwas, dessen Gestalt du spürst und erahnst, eine innere Macht, eine Geschlossenheit, Kraft, etwas Faszinierendes und Erschreckendes zugleich, etwas, das du nie zuvor gesehen hast.
    Plötzlich seid ihr unterwegs zu Fräulein Rochacewiczs Wohnung, du hast bezahlt, ihr geht, und dort gibt dir Fräulein Rochacewicz die Tasche mit dem Geld und geht zum Du über, alle hier nennen mich Dzidzia, und rät dir, das Geld besser nicht zu verlieren. Ihr seid allein in ihrer Wohnung, aber das Savoir-vivre erlaubt dir nichts: Du hast dir geschworen, keine Frauen, nur Hela, als ihr euch unterhaltet, redest du viel von Hela, «meine Frau Helena», und dennoch fühlst du dich entehrt allein dadurch, dass die Rochacewicz dich einfach in ihre Wohnung eingeladen hat, als wärst du eine Frau, wärst völlig harmlos, hättest keinen Schwanz zwischen den Beinen, mit dem du herzlich gut befreundet bist; und die Rochacewicz bezieht dir das Bett im Gästezimmer, und dann wartest du die ganze Nacht, dass sie kommt, obwohl du weißt, dass sie nicht kommen wird, aber du wartest dennoch, Dummkopf, wartest und weißt, dass sie dich davonjagen würde, wenn du zu ihr gingest, lachend würde sie dich davonjagen, nicht empört, Lachen ist tausendmal schlimmer als Empörung.
    Was du nicht weißt, was du nicht hörst, sind Dzidzia Rochacewiczs Tränen. Die Tränen einer Frau, die vor nichts Angst hat, die sich aus Lust und Laune als Sanitäterin im Hinterland sämtlicher Fronten in Polen herumgetrieben hat, aus Lust und Laune das Krakauer Liberum Conspiro spielt, wagemutiger als die Männer, entschiedener als sie. Sich ihres guten Blutes sicher, ihres Wertes gewiss, wird sie auf balkanischen Pfaden wandeln genauso, wie sie vor dem Krieg Skier gelaufen ist und ihren Hispano-Suiza gelenkt hat, mächtig wie eine vorsintflutliche Bestie, als würde sie einen Mastodonten einreiten, so lenkte sie ihren Hispano-Suiza mit den zwölf Zylindern, jedes Rad unter dem Kotflügel verborgen wie eine Träne, bis am Ende balkanische Banditen Dzidzia zu fassen kriegen, das wird im Jahr dreiundvierzig sein, eine malerische Bande aus ein paar Serben und einem Moslem aus Bosnien, angeführt von einem Ungarn, wird sie fangen, ihre Pistole wird eine Ladehemmung haben, und bevor sie den Sicherungshebel herumreißt, wird sie in ihrer Gewalt sein.
    Die Serben schlagen sie, wie noch nie jemand sie geschlagen hat, reißen ihr die Männerkleider vom Leib und vergewaltigen sie, einer nach dem anderen, ohne zu wissen, wen sie da vergewaltigen, ihre serbischen Glieder in ihr genau wie in den Frauen, an die sie gewöhnt sind, sie bemerken nicht einmal, wie glatt und rein Dzidzia Rochacewiczs Haut ist, wie schön ihre gotischen Hände und ihre edlen kleinen Brüste. Und währenddessen wird der Ungar ihr Gepäck durchsuchen, finden, was sie bei sich trug, und beschließen, einen guten Preis dafür zu bekommen. Und als alle sich an ihr vergangen haben, wird der Ungar, der so viel im Leben gesehen hat, dass nichts ihn mehr rühren kann, sie mit ihrer eigenen Pistole erschießen und Dzidzia Rochacewiczs nackter, befleckter Leichnam wird im nächtlichen Wald liegen, doch nicht lange, denn bald werden die Wölfe ihn finden, denen die Menschenkriege viel besser bekommen als den Menschen selbst.
    Und während du, Kostek, im Halbschlaf in ihrem Gästezimmer wachst, weint Dzidzia um den Mann, der sie verlassen hat, um ihren ersten Geliebten, ihr kleines großes Geheimnis, von dem niemand weiß, nicht einmal ihre engsten Freundinnen von der Mädchenschule, nicht die Eltern, nicht der Priester, dem Dzidzia gar nichts mehr beichtet, seitdem ebendieser Geliebte sie verlassen hat, ein großes schwarzes Loch in ihrem tapferen Herzen, das seitdem ordentlich hart geworden, doch nicht zugeheilt ist. Dzidzia, die tapfere Suffragette, hat versucht, es mit Sport, mit Autos, mit Konspiration zu füllen, mit anderen Männern, die durch ihr Leben trieben, ausschließlich Männer der besten Sorte, keine Dummköpfe, keine Schweinehunde, keine Feiglinge, alle waren in irgendeiner Beziehung besser als dieser erste Mann, aber keiner gut genug, die Wunde zu heilen, die von ihm geblieben war, also verließ sie die Männer, und sie liebten sie und warteten, dass sie zurückkäme, aber sie kehrte nie zurück, und jetzt, Kostek, während du wachst und sie begehrst, webt in Dzidzia Rochacewiczs Kopf auch das Netz ihrer

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