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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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erkennen, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Seine Lippen zuckten, und seine Augen blickten stier in die Dunkelheit. Ich übte mich in Geduld, während Byron längst verdrängte Erinnerungen zu überkommen schienen. Ich wusste nicht, was sich vor seinem geistigen Auge abspielte, doch ich sah die Wut, die Verzweiflung und die Ohnmacht in seinem Blick, sobald er an seiner Zigarre zog und die Glut sein Gesicht aus dem Zwielicht schälte – dem Blick eines wilden Tieres, das in Erwartung seines unabwendbaren Todes noch einmal die Zähne fletschte. Dann entspannte er sich, schloss die Augen und lächelte. »Das Schicksal ist ein Dandy, mein Freund«, sagte er. »Denke immer daran.«
    »Erzähl mir, was damals passiert ist«, forderte ich ihn auf.
    »Was passiert ist …«, wiederholte Byron wie ein monotones Echo. Er drehte sich auf die Seite und sah mich an. »Also gut, Ägyptologe. Mein Name« – Er dachte einen Augenblick nach, als müsse er in seinem Gedächtnis kramen – »ist Shabani Ildou Bouraleh. Ich tat seit vierzehn Jahren Dienst bei einer Bergungsgesellschaft der französischen Marine in Djibouti und hatte verdammt viel Erfahrung als Navigator und Taucher.
    Wir befanden uns an Bord der Afar, einem fünfzig Meter langen Schlepper, und waren auf dem Rückweg von Sokotra nach Djibouti. Die Besatzung bestand aus sechs Mann. Seit drei Tagen durchfuhren wir den Golf von Aden und schleppten einen leeren Kahn, dessen Tanks Petroleumnitrat enthalten hatten. Er war an einem dreihundert Meter langen Schleppseil an der Afar befestigt. Wir hatten Abd al Kuri hinter uns gelassen und das Kap Guardafui erreicht. Die Wassertiefe betrug ungefähr dreihundert Faden. Der Himmel war klar und es war nahezu windstill. Am Nachmittag stieg ich ein paar Minuten lang runter in den Maschinenraum, als ich von oben ein großes Geschrei hörte. Also lief ich auf die Brücke, um der Sache auf den Grund zu gehen, und schaute als Erstes auf den Kompass. Die Nadel drehte sich scheinbar völlig grundlos wie ein Kreisel im Uhrzeigersinn. Der einzige Ort, von dem ich je gehört hatte, dass dort so etwas schon einmal geschehen war, befand sich im Webi Shebeli in Somalia, wo ein großes Eisenlager oder vielleicht ein Meteorit auf dem Grund des Flusses die Kompasse durcheinander bringt. Ich wusste nicht, was los war, aber irgendetwas stimmte nicht, das war offensichtlich. Als wir aufs Meer hinaussahen, schien das Wasser aus allen Richtungen zu kommen. Der Horizont verschwand, Wasser, Himmel, alles verschwamm. Wir konnten nicht mehr erkennen, wo wir waren.«
    Byron zog nervös an seiner Zigarre. Ich versuchte, mir die Einzelheiten seiner Schilderung bildlich vorzustellen, mich in seine Erzählung hineinzufühlen.
    »Was auch immer vor sich ging«, fuhr der Schwarze fort, »es stahl oder verbrauchte die gesamte Energie unserer Generatoren. Sie produzierten einfach keinen Saft mehr. Zwar liefen die Maschinen noch, aber wir bekamen keine Elektrizität. Abdourahman, unser Ingenieur, versuchte, einen Hilfsgenerator in Gang zu bringen, aber er bekam keinen Funken heraus.
    Ich sorgte mich unterdessen um den Schleppkahn. Er war in der Nähe, aber ich konnte ihn nicht erkennen. Es sah aus, als sei er von einer Wolke umhüllt. Die Wellen waren dort, wo ich ihn vermutete, höher als woanders. Also drückte ich den Gashebel voll durch, um das Schiff da rauszubekommen. Zwar konnte ich nicht sehen, wohin wir fuhren, aber ich wollte um alles in der Welt nur schnell von dort weg. Es schien, als ob etwas versuchte, uns zurückzuziehen, ohne es ganz zu schaffen. Das Schleppseil war gespannt, aber man konnte am anderen Ende nichts erkennen. Ich rannte auf das Hauptdeck und zerrte am Seil. Es war so straff, als zögen wir eine ganze Insel hinter uns her. Der Schleppkahn befand sich in einer dichten Nebelwand, sonst aber gab es nirgendwo Nebel. Ich konnte meilenweit sehen. Im Dunst, wo der Schleppkahn stecken sollte, war das Wasser aufgewühlt, obwohl kaum Wind ging.« Byron sah mich an. »Hast du je gespürt, wie es ist, wenn zwei Leute in entgegengesetzten Richtungen an deinen Armen ziehen? Es fühlte sich an, als wären wir an einem Ort, den jemand oder etwas für sich beanspruchte, und diese Kraft wollte uns daran hindern, dorthin zu fahren. Schließlich begann uns diese unbekannte Macht in den Nebel zu ziehen, Meter für Meter. Wir beteten, dass das Schleppseil reißen möge, doch es hielt. Als Archon endlich mit einer Axt zur Stelle war, hatte uns dieser

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