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Morphogenesis

Morphogenesis

Titel: Morphogenesis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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seine Zehen bewegen konnte, und entspannte sich.
    Ein Laut erregte seine Aufmerksamkeit. Es klang wie das Offnen einer weit entfernten Tür. Leise, sich nähernde Schritte waren zu hören, begleitet von einem Geräusch, das er anfangs nicht einzuordnen wusste. Irgendetwas mit kleinen Kunststoffrädern untendran, wie er glaubte. Ein Rollwagen vielleicht, oder ein billiger Bürostuhl. Er hob den Kopf, soweit es die Halsstütze zuließ, und sah in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Aus dem Weiß näherte sich eine dickliche, ebenso sündenlos gekleidete Gestalt, die einen Infusionsständer neben sich herschob; eine Krankenschwester, wie er bald erkannte. Auf ihrem schwarzen, hochgesteckten Haar saß ein weißes Häubchen aus Stoff.
    Nachdem sie das Bett erreicht hatte, blieb sie neben ihm stehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, und kontrollierte ein Schriftstück auf ihrem Klemmbrett. Als hätte sie bereits geahnt, etwas falsch gemacht zu haben, verzog sie die Mundwinkel, packte den Infusionsständer und umkurvte mit ihm die Liegestätte. Auf der anderen Seite angekommen, musterte sie das Bett, als wisse sie nicht so recht, was jenes Geschöpf, das darin lag, überhaupt sein sollte. Dann teilte ein Lächeln ihre Lippen, und sie sagte: »Guten Tag, Mister Ka. Nur noch mal zur Sicherheit: Sind Sie Rechts- oder Linkshänder?«
    Er leckte sich die Lippen und musste mehrmals ansetzen, ehe er in der Lage war, zu antworten.
    »Rechts …«
    Seine Stimme klang heiser und brüchig.
    »Wunderbar«, flötete die Schwester. Sie deponierte das Klemmbrett am Fußende des Bettes und begann seinen Unterarm zu desinfizieren. »Fachleute behaupten ja, dass geborene Linkshänder die besseren Rechtshänder seien«, begann sie zu schnattern, während sie einen Stauriemen um seinen linken Oberarm legte. »Wussten Sie eigentlich, dass fast alle Walrosse Rechtshänder sind? Zum Ausgraben von Muscheln benutzten sie in Sechsundsechzig Prozent aller Fälle die rechte Flosse, und nur in vier Prozent der Fälle die linke. Wird man also von einem Linkshänder ermordet, kann es mit sechsundsechzigprozentiger Sicherheit kein Walross gewesen sein.« Sie lachte geziert über ihren Witz und desinfizierte die Haut an seinem Unterarm.
    »Und die restlichen dreißig Prozent …?«, krächzte er.
    »Schonen Sie Ihre Stimme, Mister Ka«, mahnte ihn die Schwester.
    »Mein Name ist nicht Ka.«
    »Ach, nein?« Sie hielt in ihrem Tun inne und starrte den ethanolgetränkten Wattebausch an. »Wie lautet er dann?«
    Er dachte eine Weile nach. »Ich – ich weiß es nicht mehr …«, gestand er. »Wo bin ich hier?«
    Durch die Krankenschwester ging ein Ruck. »Mister Ka, Mister Ka, Mister Ka«, sang sie leise, »weiß nicht mehr, weiß nicht mehr, wer er war …«
    »Bitte?«
    Sie ignorierte ihn, befestigte einen großen Plastikbeutel mit einer kristallklaren blauen Flüssigkeit am Infusionsständer und bereitete die intravenöse Gabe vor. Das Wort Larynx prangte in dicken Lettern auf dem Etikett. »Was ist das für ein Zeug«, erkundigte er sich, als die Schwester eine geeignete Vene suchte, um die Nadel zu legen.
    »Na, wollen Sie etwa für immer einen Stützkragen tragen?«, erhielt er als Antwort.
    Die Art, wie sie mit ihm umging, irritierte ihn. War er vielleicht schon länger hier? War er womöglich gar nicht zum ersten Mal bei Bewusstsein? Hatte man ihn bereits gestern oder vorgestern über die Umstände aufgeklärt, und er hatte alles wieder vergessen? Dieser Gedanke machte ihm Angst. Doch nicht nur das Kurzzeitgedächtnis schien ausgelöscht, sondern alle Erinnerungen. Als die Infusionsnadel durch seine Haut stach und die blaue Flüssigkeit kalt durch seine Adern strömte, ließ er sich erschöpft ins Kissen zurücksinken.
    »Was ist überhaupt passiert?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    »Wer dann?«
    »Schwester 26. Aber sie ist heute nicht da …«
    »Könnten Sie mir wenigstens meine persönlichen Sachen bringen?«
    »Das darf ich nicht.«
    »Und wer darf es?«, fragte er mühsam beherrscht.
    »Doktor 8.«
    »Lassen Sie mich raten: Er ist heute nicht da.«
    »Doch«, entgegnete die Schwester. »Aber Sie sind nicht der Einzige, um den er sich kümmern muss.«
    Er hob den Kopf und blickte demonstrativ in die leere Halle.
    »Das ist ein 24-Stunden-Tropf«, erklärte die Schwester, nachdem sie die Kanüle befestigt und einen Verband angelegt hatte. »Wenn Sie die Infusion unterbrechen, müssen wir wieder von vorne anfangen.« Sie zupfte und

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