Mortal Kiss
ihn zu dem gemacht hatte, was er war. Wut auf die Welt. Er hatte diesen Teil seines Wesens vor dem Mädchen verstecken wollen. Sie hätte ihn für gesund und normal halten und nicht erfahren sollen, was er wirklich war und in was er sich verwandeln konnte … War das zu viel verlangt?
Finn wehrte sich gegen Ballard, konnte sich aber nicht befreien, denn das Silber raubte ihm die Kraft, obwohl seine Wut ständig wuchs. Er blickte sich nach den Mädchen um, obwohl er wusste, dass Faye, sobald sie ihm in die Augen sah, begreifen würde, dass er nicht der war, den sie zu kennen glaubte. Finn sah sie dennoch an und bemerkte trotz seiner Schmerzen und trotz des Blutes, das ihm in den Ohren rauschte, wie schockiert sie war.
»Haut ab !« , krächzte er, und obwohl er sich quälte, waren seine Worte gut zu verstehen. » Sofort !«
*
Seine Augen waren gelb! Blanke Angst flutete durch Faye, als sie Finn sich krümmen sah. Sie hörte Schreie, und erst als Liz sie am Arm griff, merkte sie, dass sie selbst es war, die da schrie.
»Wir müssen hier raus !« , brüllte Liz ihr ins Ohr. »Wir müssen … «
Faye ergriff Liz’ Hand, und zusammen duckten sie sich aus ihrer Ecke und schlichen zur Tür. Faye zitterte so sehr, dass sie strauchelte und beinahe auch Liz zu Boden gerissen hätte. Sie hörte Finn – oder was auch immer er wirklich sein mochte – erneut schreien, ein widerhallendes, animalisches Geräusch. Fast hatten sie es zur Tür geschafft, da stolperte Faye über etwas und fiel auf die Knie. Liz wollte sie auf die Beine ziehen, doch als Faye sich umdrehte, erstarrte sie vor Schreck.
Ballard hatte Finn losgelassen, und der Biker kniete auf allen vieren, schüttelte sich wie ein Hund, öffnete den Mund und heulte. Dann warf er den Kopf in den Nacken, und Faye sah, wo Ballard ihn mit dem Schlagring verletzt hatte. Doch es war keine Wunde, sondern sah aus wie ein Riss, als hätte das Silber Finn gespalten. Und der Riss wurde breiter und länger. Er lief den Hals hinab bis auf die Brust und hinauf ins Haar. Faye beobachtete, wie Finn sich das Hemd vom Leib zog, sah die Wunde immer größer werden, Brust, Rücken, Arme bedecken und sich vervielfachen. Finns Haut schien zu schmelzen, während darunter dichtes, graues Fell zum Vorschein kam.
Er heulte erneut, und Faye sah, dass sich nun auch sein Gesicht veränderte. Anstelle seiner braunen Augen hatte er jetzt leuchtende, stechend gelbe Scheiben. Mund und Nase streckten sich und verwandelten sich in eine Hundeschnauze, aus der ebenfalls dickes Fell wuchs. Faye sah lange, bösartige Zähne, von denen der Speichel tropfte, und spürte, wie ihre Haut vor blankem Entsetzen kribbelte. Das konnte doch nicht Finn sein, oder? Unmöglich!
Sie schaute Liz an, die noch immer ihre Hand hielt, und sah, dass der Mund ihrer Freundin zu einem fassungslosen O aufgerissen war.
Der Finn, den sie kannte, war fast völlig verschwunden. An seine Stelle war ein riesiger, grauer Wolf getreten, der den Kopf schüttelte und dabei nach links und rechts Speichel fliegen ließ. Er spannte die Muskeln seiner langen Läufe, bereit zum Angriff, und knurrte böse. Als er die furchterregenden Zähne bleckte, verzog seine Nase sich vor Zorn. Selbst Ballard wich vor ihm zurück. Doch ehe der Wolf lossprang, wandte er den Kopf zur Seite und sah Faye direkt an. Sie hätte beinahe erneut geschrien, begriff dann aber, dass das Tier ihr etwas sagen wollte. Dass Finn ihr etwas sagen wollte. Der Wolf sah sie an, doch für den Bruchteil einer Sekunde hatte Faye das Gefühl, in Finns Augen zu schauen, und sie hörte seine Stimme so deutlich wie damals, als er sie im Wald gerettet hatte.
» Du brauchst keine Angst zu haben « , hörte sie ihn sagen. » Nicht, solange ich da bin . « Dann sah der Wolf weg und fasste Ballard ins Auge.
Doch Faye wusste nicht, ob sie ihm glauben konnte. Damals abends im Wald … war das Finn gewesen? Hatte Finn sie gejagt? Sie raffte sich auf und zerrte Liz mit sich. Als sie die Tür erreichten, hörten sie einen menschlichen Schrei hinter sich, doch Faye wagte nicht, sich umzudrehen. Die beiden Mädchen stürzten in den Schnee hinaus und rannten mühsam los. Jede Sekunde rechnete Faye damit, ein weiteres Heulen hinter ihnen zu hören … oder das Geräusch mächtiger Pfoten im Schnee. Sie fühlte sich in die Verfolgung im Wald zurückversetzt, als sie überzeugt gewesen war, sich in Lebensgefahr zu befinden. Nun begriff sie, dass sie recht gehabt hatte, und ein dicker Knoten
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