Mortimer & Miss Molly
erste Begegnung mit dieser Stadt ein bisschen misslungen war. Nach wie vor hatte Wien einen gewissen Ruf als Stadt der Medizin. Vielleicht ließen sich diese beiden Möglichkeiten ja abwechselnd verwirklichen. Erst Turin und dann Wien. Oder auch erst Wien und dann Turin.
Die Frage der Priorität war – zugegeben – etwas heikel. Aber sie waren doch zwei Menschen, die einander liebten, sie brauchten doch bitteschön nicht zu konkurrieren. Sie mussten sich diesbezüglich doch einigen können. Sie würden schon zusammenkommen und dann alles Nötige organisieren.
Dass sie zusammenkommen wollten, nämlich noch enger verbunden als bisher, so viel schien jedenfalls festzustehen. Natürlich ist so etwas nicht unproblematisch: die Verwandlung einer periodischen Sommerliebe (denn das war ihre Beziehung doch bisher im Wesentlichen gewesen) in eine Liebe für alle Jahreszeiten. Aber sie würden das schaffen – wann, wenn nicht jetzt? Sie mussten ja nicht gleich heiraten, davor hatten sie beide eine gewisse Scheu, aber wer weiß, vielleicht ließ sich auch diese Scheu nach und nach ablegen.
Heiraten und Kinder kriegen? Das war eine Frage, die sie einander mit einer gewissen Ironie stellten. Aber warum eigentlich nicht? Julia dachte das manchmal auch im Ernst. Schon wahr, als sie nach Wien gekommen war, dem Elternhaus in Krems und seiner Biederkeit entschlüpft, hatte sie sich so etwas gar nicht vorstellen wollen, alles, nur das nicht, hatte sie damals gedacht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Doch inzwischen war sie dreißig geworden, Marianne und Susanne hatten bereits je ein Kind, und obwohl die Männer, die sie sich in diesem Zusammenhang zugezogen hatten, Julia indiskutabel langweilig erschienen, waren die Kinder, ihrem putzigen Alter gemäß, lieb.
Über das alles oder zumindest etwas davon würden sie reden, Marco und sie, wenn sie, diesmal ab Anfang August, in San Vito beisammen wären. Julia setzte die schönsten Hoffnungen in diesen Aufenthalt. Und die ersten Tage waren auch schön wie immer und versprachen, noch schöner zu werden. Sie wohnten nun nicht mehr im Albergo (Fantini hatte schon im vorangegangenen Jahr angekündigt, dass sich mit den wenigen Gästen, die er hatte, der Aufwand ganz einfach nicht mehr lohne), sondern in einem Häuschen etwas außerhalb des Ortes, umgeben von Olivenbäumen und Weinstöcken.
Es ist schon wahr, dass sie sich erst daran gewöhnen mussten. So schön es dort draußen war, ging ihnen das alte Albergo anfangs doch ab. Mit einer gewissen Wehmut dachten sie an das Zimmer mit dem durchhängenden Doppelbett und an das Etagenbad mit der wunderlichen Wanne, vor allem auch an den Blick aus dem Fenster auf die Mauer und auf das Tor des
giardino
. Und auf die Steineichen mit ihrem bedeutungsvollen Gestenspiel im Hintergrund.
Hier war es, objektiv betrachtet, sicherlich schöner. Sie hatten stupende Blicke in die Gegend, sie konnten aus vier Fenstern in vier verschiedene Windrichtungen schauen. Und ganze vier Zimmer standen ihnen zur Verfügung. Und ein
soggiorno
, in dem so viel Platz war, dass man darin hätte Federball spielen können.
Und draußen, ums Haus herum, war es erst recht schön ... Da gab es Rosmarin- und Lavendelhecken, und in zwei großen Vasen aus Terracotta blühte der Oleander. Und unter einem Schatten spendenden Baum stand ein Tisch, an dem man idyllisch frühstücken konnte. – Trotzdem stiegen sie manchmal ins Auto und fuhren zum Frühstück in den Ort.
Der Weg dorthin war allerdings holprig und tat Marcos neuem Auto nicht gut. Er hatte in diesem Jahr nicht mehr die alte Ente, sondern einen Volvo 740, mit dem seine Mutter ihre Freude gehabt hätte. Und er schenkte diesem Fahrzeug erstaunlich viel Beachtung. Auf dem Weg in den Ort und zurück hielt er manchmal an und ging rund um den Wagen, um zu sehen, ob er sich nicht an irgendeinem Stein gestoßen hatte; manchmal putzte er mit einer Ernsthaftigkeit, die Julia ursprünglich für Ironie hielt, am Lack herum, der, von den Ästen der Büsche am Rand des Weges gestreift, womöglich einen kleinen Kratzer abbekommen hatte.
Nun war das vielleicht nur eine Äußerlichkeit, aber Julia registrierte es mit leichtem Befremden. Und manchmal hatte sie den Verdacht, dass sich Marco auch innerlich verändert hatte. Eine gewisse Abwesenheit glaubte sie manchmal an ihm zu bemerken. Woran denkst du, hätte sie ihn dann fragen mögen, aber vielleicht hing er ja noch Gedanken an seine Mamma nach, und daran wollte sie lieber
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