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Mortimer & Miss Molly

Mortimer & Miss Molly

Titel: Mortimer & Miss Molly Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Heinisch
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sich. Verhielt sich auf einmal wie einer von den Phallozentrikern, von denen er sich bis dahin so wohltuend unterschieden hatte. Aus heiterem Himmel? Nein, vielleicht nicht aus heiterem Himmel. Draußen prasselte der Regen jedenfalls noch immer.
10
    Und dann, zwei oder drei Nächte nach dem missglückten Versöhnungsversuch, redeten sie auf einmal über Treue und Untreue. Wie sich das ergeben hatte, wusste Julia später nicht mehr so recht. Wahrscheinlich hatte sie ihm gesagt, dass sie sich von ihm betrogen oder verraten fühlte. Aber sie hatte das vorerst vor allem in Bezug auf ihr Fantasiespiel gemeint, das er jetzt nicht mehr im Ernst mitspielen wollte oder konnte, und natürlich auch in Bezug auf sein Amerika-Projekt.
    Du hast es nicht einmal der Mühe wert gefunden ..., sagte sie. Und wer weiß, was du mir sonst alles nicht erzählt hast ... Phrasen dieser Art. Und die provozierten ihn offenbar. Er sei ihr doch –
porca Madonna!
– keine Rechenschaft schuldig über alles, was er denke und tue!
    Sie habe ihm sicherlich auch nicht alles erzählt. Sie habe ihm, als er, zugegeben unangekündigt, aber aus Liebe, etwas öfter bei ihr in Wien angerufen habe, sogar einen Vortrag über die Freiheit ihrer Beziehung gehalten, daran solle sie sich nun gefälligst erinnern. Und so ergab ein Wort das andere, und schon waren sie bei Fulvio, mit dem Julia wirklich nichts gehabt hatte, obwohl er sie, zugegeben, schon ein bisschen gereizt habe. Und bei den diversen Autoren, die in diesem obskuren Theaterverlag, bei dem sie damals manchmal noch so verdächtig spät zu tun gehabt habe, aus und ein gingen.
    Julia konterte mit Schwester Laura. Der lieben, ach so mütterlichen Schwester, von der sich Marco wahrscheinlich ab und zu habe trösten lassen. Da lachte Marco. Und sie konnte sich nicht helfen, sie fand, er lachte dreckig. Mit Laura, nein, Laura wäre ihm doch ein bisschen zu mütterlich gewesen – da hätten für einen jungen
dottore
wie ihn schon andere Möglichkeiten bestanden.
    Ah ja?, sagte Julia. Was du nicht sagst! Zum Beispiel?
    Zum Beispiel Lydia. Die Anästhesistin.
Una bella donna.
Con occhi lunghi
, sagte Marco.
Occhi lunghi.
Träge hängende Lider.
    Aha, mit Schlafzimmerblick!, sagte Julia.
    Ein wenig habe sie ausgesehen wie eine Spanierin. Aber die hängenden Lider hatten auch etwas mit ihrer Verfassung zu tun. Sie war nämlich eine Anästhesistin mit Schlafstörungen.
    Povera!
, sagte Julia.
    Ja, sagte Marco, sie war arm, tatsächlich. Die Patienten hat sie perfekt eingeschläfert, aber sie selbst konnte kaum schlafen ... Eine nahezu schlaflose Anästhesistin.
    Und ich nehme an, sagte Julia, du hast sie getröstet ...
    Tja, sagte er. Er musste ja endlich auch einen Trumpf ausspielen. Danach habe die tragische Schöne dann ganz gut geschlafen.
    Du Schuft!, dachte Julia. Sie war gar nicht sicher, ob die Geschichte wahr war. Aber es reichte ihr. Noch in derselben Nacht packte sie ihre Sachen.
11
    Früh am nächsten Morgen nahm sie den Bus nach Chiusi. Über den Hügeln lag vorerst noch Nebel, aber auf der Höhe von Monterchi kam die Sonne durch. Da erblühte die Landschaft wieder in den feinsten Pastellfarben. Ausgerechnet jetzt schien sich das Wetter zu bessern.
    Zypressen- und Pinienalleen, da und dort eine pittoresk platzierte Eiche auf einer Anhöhe, eine Schafherde in einer Mulde. Vogelschwärme, die aufflogen und sich wieder niederließen. Und dieses Licht, dieses sanfte, goldene Licht. Wie schön diese Gegend doch war, es tat weh, sich von ihr zu verabschieden.
    Aber es musste sein. Es nützte nichts. Ist das dein Ernst?, hatte Marco gesagt, ja, das ist mein Ernst, hatte sie geantwortet. Er hatte nicht gut ausgesehen nach der letzten Nacht, tiefe Ringe unter den Augen. Wahrscheinlich hatte er ebenso wenig geschlafen wie sie.
    Er hatte sie noch zur Busstation gebracht. Zum ersten Mal wieder hinter dem Volant seines Volvo, verbissen das Gas und die Bremse betätigend mit seinem lädierten rechten Fuß. Manchmal hatte er Julia angesehen, mit einem immer noch verschlafenen, aber hinter diesem Grauschleier tieftraurigen Blick. Schau mich nicht so weidwund an, hätte sie ihm am liebsten gesagt, aber für das tragikomische Wort
weidwund
, das ihr da, wer weiß woher, in den Sinn gekommen war, wusste sie keine Entsprechung auf Italienisch.
    Und jetzt fuhr sie eben mit dem Bus und war bereits auf der Höhe von Montepulciano. Und er war zurückgefahren in das hübsche Haus, das ihm jetzt vielleicht trist vorkommen

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