Mortlock
aufgebrachter Vögel, die sie verfolgte: tausend kleine Punkte, die sich zu einem rachsüchtigen Ungeheuer vereinten. Doch einige Punkte waren gar nicht so klein. Die Tanten hatten sich dem wütenden Schwarm angeschlossen und kreischten ihre Blutgier hinaus.
»Was ist mit Arabella?«, rief Josie.
»Ich glaube nicht, dass sie an ihr interessiert sind. Beeil dich, Josie«, rief Alfie. »Gleich haben sie uns!«
Josie sprang von einem Grasbüschel zum nächsten. Als sie Alfie endlich eingeholt hatte, dachte sie, ihre Lunge würde gleich platzen. Der Untergrund wurde immer nasser, und ihre Stiefel waren mittlerweile völlig durchweicht. Fauliger Sumpfgeruch stieg ihnen in die Nase. Das Boot war nicht mehr zu sehen, verschluckt vom immer dichter werdenden Dunst.
Plötzlich rutschte Josie aus und verlor das Gleichgewicht. Der Boden unter ihr schien sich aufzutun, und sie schnappte nach Luft, als sie im eisigen Sumpfwasser versank. Die faulige Brühe drang ihr in Mund, Nase und Ohren und ließ für einen Moment sogar den Lärm der Krähen verstummen. Hustend und spuckend richtete sie sich auf und stellte fest, dass sie bis zum Bauch in einer Wasserrinne stand. Alfie packte sie unter den Achseln und versuchte, sie aus dem Loch zu ziehen.
»Zum Baden ist jetzt keine Zeit«, keuchte er. »Los, komm schon …«
Sie stolperten weiter, doch Josie hatte vollkommen die Orientierung verloren. Von der Kälte war sie wie betäubt, und das Wasser brannte immer noch in ihren Augen. Sie hielt sich an Alfies Jackensaum fest und taumelte blind hinter ihm her. Dann rutschte sie erneut aus, und diesmal riss sie Alfie mit zu Boden. Das Gekecker und Gekrächze über ihnen wurde ohrenbetäubend, als die ersten Vögel zum Angriff übergingen. Josie schlug mit der flachen Hand um sich, und obwohl sie kaum etwas sehen konnte, gelang es ihr, die Krähen abzuwehren.
Mit einem Mal wurde es um sie herum noch kälter. Sie rieb sich die Augen und stellte fest, dass der Dunst sich in einen dichten, eisigen Nebel verwandelt hatte. Alfie, der sich gerade aufrichtete, war nur eine Armeslänge von ihr entfernt, doch sie konnte nicht mehr als einen dunklen Umriss erkennen, dessen keuchende Atemzüge wie durch Watte gedämpft klangen. Irgendwo zu ihrer Linken verschwand das heisere Krächzen in der Ferne.
»Ich hoffe, die sind wir los«, sagte Alfie mit klappernden Zähnen.
»Wenn wir nicht aufpassen, sind wir uns in dieser Suppe auch bald los«, erwiderte Josie und schlang zitternd die Arme um sich. Ihre nassen Kleider boten keinerlei Schutz vor der Kälte, die ihr bereits bis in die Knochen gedrungen war. »Was sollen wir tun? Warten?«
»Ich glaube, das wäre keine gute Idee«, sagte Alfie leise und deutete mit dem Kinn auf etwas hinter ihr.
Als sie sich umwandte, erblickte sie eine dunkle Gestalt, die sich langsam auf sie zubewegte. Die Umrisse waren verschwommen, aber Josie konnte einen langen Schnabel und gesträubte Kopffedern erkennen. Panisch sah sie sich nach einem möglichen Versteck um. Der Boden war flach und gleichförmig, abgesehen von dem schlammigen Wasserloch, in das sie eben gefallen war. Rasch packte sie Alfie und zog ihn mit sich in das eisige Wasser. Sie hörte, wie Alfie einen Schrei ausstieß, als die Kälte ihn umschloss. Der riesige Ghul kam immer näher. Josie holte tief Luft, deutete auf das Wasser und tauchte unter, in der Hoffnung, dass Alfie es ihr gleichtun würde.
Das Wasser war so eisig, dass ihr ganzer Körper schmerzte. Ihre Lunge schrie nach Luft, und sie hörte das Pochen ihresHerzens. Alfie umklammerte ihre Schulter, damit sie beide unter Wasser blieben. Er hatte die Wangen aufgeblasen und die Augen fest zugedrückt. In dem trüben Sumpfwasser schimmerte seine Haut bräunlich. Josie hob den Kopf und versuchte zu erkennen, was draußen vor sich ging. Direkt vor ihnen ragte ein riesiger dunkler Schatten auf, der sich suchend umsah. Der Drang, Atem zu holen, wurde übermächtig; alles in Josie wollte nach oben und die süße Luft einsaugen. Die Kälte bohrte sich in ihren Schädel, und am Rand ihres Gesichtsfelds breitete sich Schwärze aus.
Sie blickte erneut nach oben. Die Gestalt war verschwunden. Josie hielt es nicht länger aus. Mit solcher Hast, dass sie beinahe Wasser eingeatmet hätte, brach sie durch die Oberfläche und kletterte mühsam am schlammigen Rand des Wasserlochs hinauf. Auch Alfie tauchte mit einem Satz auf und warf sich mit dem Oberkörper auf den festen Boden, wo er liegen blieb und keuchend
Weitere Kostenlose Bücher