Mortlock
ihr in Augen, Mund und Ohren, und auf einmal spürte sie, wie sich eine seltsame Wärme und Ruhe in ihr ausbreitete; sie brauchte nur noch tief einzuatmen und zu schlafen …
Über ihr klatschte etwas auf die Oberfläche. Instinktiv griff Josie nach dem schwimmenden Objekt und fühlte Kork und Seilschlaufen – ein Rettungsring! Als sie sich darauf hievte, stieß ihr Kopf mit dem von Alfie zusammen.
»Das Boot, Josie!«, rief Alfie gurgelnd und lachend. »Wir haben es geschafft! Wir sind gerettet!«
»Gerettet!« Hustend drückte Josie ihre Stirn an Alfies. Ihre Beine trieben schlaff im Wasser, und sie spürte, wie sie zu dem schwarzen Boot mit den dunkelroten Segeln gezogen wurden. Ein Geruch nach Teer und Tabak stieg ihr in die Nase, als zwei schwielige Hände sie unter den Armen packten.
»Willkommen an Bord der
Galopede
«, sagte eine sanfte Stimme, und sie wurde über den Rand gezogen und auf das Deck gelegt. Josie krümmte sich zusammen und übergab sich auf die sauberen Holzplanken.
»Kaum hier, und schon machen sie Dreck. Wirf sie wieder rein, die bringen bloß Unglück«, grummelte jemand verärgert. Ein Wischmopp fuhr vor ihrer Nase her, und sie wich erschrocken zurück.
»Nun mal langsam, Manny«, sagte die Stimme. »Und lass das mit dem Mopp. Sie hat das halbe Meer im Bauch.«
»Die hat mit ’nem Messer nach dir geworfen«, knurrte Manny. »Das ist ’ne verdammte Meerjungfrau. Wirf sie wieder rein.«
»Ich glaube nicht, dass das Messer auf mich gerichtet war,Manny. Und wie ’ne Meerjungfrau sieht sie auch nicht aus …«
Wieder zog sich Josies Magen zusammen, und in einem einzigen großen Krampf spuckte sie alles, was sie noch in sich hatte, auf das Deck. Als sie sich aufrichtete, sah sie ein Paar buschige Augenbrauen und zwei harte blaue Augen in einem wütenden Gesicht. Darüber eine dicke Wollmütze, tief in die Stirn gezogen. »Nichts wie Dreck«, knurrte er und schwenkte erneut den Mopp.
»Mach dir keine Sorgen wegen Manny«, sagte die andere Stimme. »Der hat’s nur gern immer schön sauber.«
Josie wandte sich um und erblickte einen hochgewachsenen Mann, der Alfie auf den Rücken klopfte, um ihm zu helfen, das Salzwasser loszuwerden. Hinter ihm bemerkte sie das Messer, das direkt neben dem Steuerrad im Holz steckte.
»Hätte mir fast das Ohr abgeschnitten«, sagte der Mann schmunzelnd. Sein bärtiges Gesicht war nahezu quadratisch, mit einer flachen Nase, zusammengekniffenen Augen und dichten Locken drum herum. »Aber so hab ich euch wenigstens bemerkt!«
»Mr Carr!«, rief Josie hustend.
»Woher in drei Teufels Namen weißt du … Grundgütiger!« Seine Augen weiteten sich. Er versetzte Alfie einen so schwungvollen Schlag auf den Rücken, dass dieser vornüberkippte. »Die Kleine aus Rookery Heights! Na, auf die Geschichte bin ich gespannt. Aber jetzt gehen wir erst mal nach unten, bevor ihr mir hier noch erfriert – da hätte ich euch ja nicht vorm Ertrinken retten müssen.«
Jacob Carrs Kabine war winzig und vollgestopft mit Truhen und alten Seekarten. Alfie und Josie zogen sich aus, damitihre Kleider trocknen konnten, und hockten sich, in raue Decken gehüllt, auf eine niedrige Pritsche, die offenbar als Bett diente. Die Planken des Bootsrumpfes knarrten, und der Geruch nach Pfeifenrauch mischte sich mit dem nach Teer, Salz und Tang.
Sie waren in Sicherheit.
»So«, sagte Jacob und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Es geht mich ja nichts an, aber Arabella hat mir eine Nachricht geschickt, dass ihr in Schwierigkeiten wärt. Ich sollte euch mitnehmen, aber ihr wart nicht am Kai. Ich muss gestehen, ich dachte schon, es hätte euch beide erwischt. Was ist denn passiert?«
»Das Ganze ist schiefgegangen, Mr Carr«, seufzte Josie. »Wir haben versucht zu entkommen, aber dieser Sammy war zu langsam mit der Lieferung. Wir sind in die Marsch gelaufen und … haben uns da versteckt …«
Das mit dem Zirkus würde alles nur noch komplizierter machen
, dachte Josie. Bei der Erinnerung an die bleichen, aufgedunsenen Gestalten dort unten im trüben Wasser zog sie die Decke fester um sich, froh über ihre kratzige Wärme. Sie lebte noch.
»Und dann hat euch die Flut überrascht, was?«, brummte Jacob. »Da draußen ist es verdammt gefährlich. Da, wo eben noch Land war, ist plötzlich Meer. Na, jetzt ruht euch erst mal aus. Wir haben noch eine Lieferung, dann geht’s zurück nach London.« Damit kletterte er die Leiter hoch und verschwand nach draußen.
»Und was
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