Mortlock
Artemis die Jägerin und ihren treuen Gehilfen Alfie!«
»Lassen Sie ihn herunter. Er ist krank«, sagte Josie zu ihm. Warum taten sie ihrem Bruder das an?
»Du musst für euch beide auftreten, meine Liebe«, erwiderte Lorenzo mit ausdrucksloser Stimme, als wäre ihr Schicksal nicht mehr zu ändern. »Oder möchtest du dich lieber unter das Publikum mischen?«
Josies Blick glitt über die geisterhaften Zuschauer, die auf den Bänken saßen und hohläugig vor sich hin starrten, die Hände leblos auf den Knien. Plötzlich umringten sie die Gambinis.
»Wir sind verflucht, Josie! Verflucht zu einem ewigen Dasein als lebende Tote.« Nicolao griff nach Josies Arm. Vor ihren Augen verdorrte sein Fleisch, wurde dünn und brüchig, und die Knochen darunter kamen zum Vorschein. Paulos Haut löste sich auf, die Lippen schrumpften und entblößten ein makaberes Grinsen. Aus seinem einst so rundlichen Gesicht ragten nun die Wangenknochen hervor.
»Paulo!«, schrie Josie und wich entsetzt zurück. »Um Himmels willen, was ist mit dir?«
»Wir brauchen dich, Josie«, krächzte er und griff mit seinenTotenhänden nach ihr. »Die Macht der Amarant fließt in deinen Adern, das können wir spüren. Sie gibt uns Kraft, macht uns lebendig!«
Plötzlich begann Wasser aus dem Boden aufzusteigen und umspülte Josies Füße. Voll Entsetzen blickte sie nach unten. Genau davor hatte Arabella sie gewarnt. Sie hatten sich in schreckliche Gefahr gebracht, als sie an diesen gottverlassenen Ort gekommen waren.
»Die Flut kommt. Gib uns deine Vorstellung, Josie«, flehte Lorenzo mit fiebrig glänzenden Augen. »Wirf deine Messer. Schließ dich uns an.«
»Aber ich habe Cardamom versprochen, dass ich die Amarant finde«, rief Josie und überlegte verzweifelt, wie sie Lorenzo beeinflussen konnte. »Die Blume des Lebens … Vielleicht kann ich euch irgendwie helfen.«
»Du kannst uns nicht helfen.« Lorenzo schüttelte seinen totengleichen Kopf. »Und deine kostbare Blume … sie ist für immer verloren, begraben und vergessen.«
»Du musst dich uns anschließen und in alle Ewigkeit hier auftreten«, zischte Ulrico.
»Bitte bleib bei uns«, wimmerte Ashena und kroch durch das steigende Wasser auf Josie zu. Sie hob den Kopf und starrte Josie aus leeren Augenhöhlen an. Mit einem Schrei wich Josie zurück.
Das Wasser wirbelte um ihre Knie. Sie drehte sich um, zielte sorgfältig und warf das erste Messer auf die Korkwand. Das dumpfe Geräusch des Aufpralls schien die Zuschauer aus ihrer Gleichgültigkeit zu reißen. Plötzlich blickten sie aufmerksam zu ihr. Josie schob sich ein zweites Messer in den Rockbund und versuchte, vorwärtszulaufen, was mühsam war, da das Wasser mit beängstigender Strömung an ihrenBeinen und Kleidern zerrte. Im Laufen warf sie ein drittes Messer auf die Korkwand. Mit dem ersten hatte sie die Fesseln an Alfies linkem Handgelenk durchschnitten. Nun hatte sie auch die am rechten Handgelenk gelöst, und Alfie sank vornüber. Josie machte einen Hechtsprung und fing ihn auf, bevor er ins Wasser glitt.
»Josie?«, murmelte er und öffnete halb die Augen. »Es liegt an ihnen. Sie ziehen das Leben aus mir heraus …«
»Ich weiß – wir müssen hier weg«, sagte Josie und schlang sich seinen Arm um die Schultern, um ihn aufzurichten.
Das Wasser reichte ihnen jetzt bis zur Taille. Der Kälteschock riss Alfie aus seiner Lethargie, und er schnappte nach Luft. Josie schleppte ihn zur Mitte des Zelts, wo die Strickleitern in der Strömung hin und her trieben. Sie zögerte einen Moment und fragte sich, ob die Leitern ihr Gewicht tragen würden. Auf einmal erhob sich eine bleiche Hand aus dem Wasser und griff nach ihr. Sie stieß einen Schrei aus und schubste Alfie zur nächsten Strickleiter. Benommen zog er sich daran hoch, wobei er bei jedem Schritt vor Anstrengung keuchte. Immer mehr Hände griffen nach ihnen, während das Wasser weiter anstieg. Josie trat mit den Füßen danach.
Mühsam kletterten sie an den glitschigen Leitern hoch. Josies Finger schmerzten, ihre Muskeln brannten, und bei jeder Bewegung stach ihr das Messer in den Bauch. Plötzlich rutschte Alfie über ihr ab, und sie konnte gerade noch den Kopf zurückziehen, bevor sein Stiefel sie ins Gesicht traf. Er hing nur noch an seinen Armen, und Josie hörte sein keuchendes Schluchzen, während er versuchte, mit den Füßen wieder Halt zu finden.
»Weiter rauf, Alfie, zu dem Loch in der Decke«, rief sie, um ihn anzufeuern. Sie hielt den Blick auf das obere
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