Morton, Kate
gegen das cremeweiße Gemäuer ab, und ich lehnte mich zusammen
mit Jane aus dem Fenster der Kutsche, meine Hand neben ihrer am Fensterrahmen.
Schwere Wolken trieben über den bleichen Himmel, und als die Kutsche endlich
mit einem Ruck hielt, sprangen wir hinaus und sahen einen tintenschwarzen
Schlossgraben vor uns. Wie aus dem Nichts kam eine Brise auf und kräuselte das
Wasser, der Kutscher zeigte auf eine hölzerne Zugbrücke. Langsam, schweigend
überquerten wir die Brücke. Als wir vor der Tür standen, wurde eine Glocke
geläutet, eine echte Glocke, und mir fiel beinahe das Buch aus der Hand.
Ich
glaube, die Glocke habe ich noch gar nicht erwähnt. Während ich die Kartons
zurück auf den Speicher schaffte, war mein Vater im Gästezimmer untergebracht,
neben sich auf dem Nachttisch einen Stapel Accountancy Today, einen Kassettenrekorder mit Musik
von Henry Mancini und eine Butlerglocke, um sich bemerkbar zu machen. Das mit
der Glocke war seine Idee gewesen, eine Erinnerung an seine Kindheit, als er
einmal mit Fieber im Bett gelegen hatte, und nachdem er zwei Wochen lang fast
nur geschlafen hatte, war meine Mutter so glücklich darüber, ihn wieder etwas
lebhafter zu sehen, dass sie freudig eingewilligt hatte. Es sei ein
vernünftiger Vorschlag, hatte sie gemeint, aber in dem Moment nicht bedacht,
dass die kleine dekorative Glocke schändlich missbraucht werden würde. In den
Händen meines gelangweilten, schlecht gelaunten Vaters verwandelte sie sich in
eine gefährliche Waffe, einen Talisman seiner Rückkehr in die Kindheit. Mit der
Glocke in der Hand wurde mein liebenswürdiger, zahlenbesessener Vater zu einem
verwöhnten kleinen Jungen, der ständig ungehalten danach fragte, ob die Post
schon da sei, womit meine Mutter gerade beschäftigt sei und wann er damit
rechnen könne, dass man ihm die nächste Tasse Tee serviere.
Aber an
dem Morgen, als ich den Modermann in dem Karton
mit meinen Sachen entdeckt hatte, war meine Mutter einkaufen gegangen, und ich
war offiziell zum Vatersitten abgestellt. Als die Glocke ertönte, löste sich
die Bealehurst-Welt auf, die Wolken stoben in alle Richtungen auseinander, das
Schloss verschwand, die Stufe, auf der ich stand, zerfiel zu Staub, und ich
stürzte in einem Wirbel aus schwarzen, um mich herumtanzenden Buchstaben durch
das Loch in der Mitte der Seite und landete unsanft zu Hause in Barnes.
Ich weiß,
ich sollte mich schämen, aber eine Weile blieb ich ganz still sitzen in der
Hoffnung auf eine Begnadigung. Erst als die Glocke zum zweiten Mal bimmelte,
steckte ich das Buch in meine Jackentasche und stieg zögernd und mit schlechtem
Gewissen die Leiter hinunter.
»Hallo,
Dad«, sagte ich frohgemut - es ist nicht nett, es einem kranken Vater übel zu
nehmen, wenn er einen stört -, als ich das Zimmer betrat. »Alles in Ordnung?«
Er lag so
tief in seinem Kopfkissen vergraben, dass er beinahe darin verschwand. »Gibt es
schon Mittagessen, Edie?«
»Nein,
noch nicht.« Ich richtete ihm das Kissen ein bisschen.
»Mum sagt,
sobald sie zurückkommt, bringt sie dir einen Teller Suppe. Sie hat einen ganzen
Topf...«
»Deine
Mutter ist immer noch nicht zurück?«
»Sie kommt
bestimmt bald.« Ich lächelte ihn an. Der Arme hatte es wirklich schwer: Es ist
für niemanden ein Vergnügen, wochenlang ans Bett gefesselt zu sein, aber für
jemanden wie ihn, der weder über Methoden noch Talent zur Entspannung verfügt,
ist es eine Tortur. Ich füllte sein Glas mit frischem Wasser und bemühte mich,
nicht das Buch zu berühren, das aus meiner Tasche ragte. »Kann ich dir
irgendwas bringen? Ein Kreuzworträtsel? Ein Heizkissen? Noch ein Stückchen
Kuchen?«
Er seufzte
resigniert. »Nein.«
»Bestimmt
nicht?«
»Nein.«
Meine Hand
lag schon wieder auf dem Modermann, während
ich schuldbewusst überlegte, ob ich es mir damit auf der Liege in der Küche
gemütlich machen sollte oder lieber in dem Sessel im Wohnzimmer, wo den ganzen
Nachmittag die Sonne durchs Fenster schien. »Na dann«, sagte ich verlegen,
»mach ich mich mal wieder an die Arbeit. Kopf hoch, Dad ...«
Als ich
schon fast an der Tür war, fragte er: »Was hast du da, Edith?«
»Wo?«
»Da, in
deiner Tasche.« Er klang hoffnungsfroh. »Ist das die Post?«
»Das?
Nein.« Ich klopfte auf meine Jackentasche. »Das ist ein Buch aus einem der
Kartons auf dem Speicher.«
Er
schürzte die Lippen. »Es geht mir darum, Sachen ordentlich zu verstauen,
nicht, sie wieder auszugraben.«
»Ich weiß,
aber es ist ein
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