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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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locker. Er löcherte mich geradezu mit Fragen. Manche konnte
ich ihm sofort beantworten, andere waren so speziell, dass ich ihm Raymond Blythe in Milderhurst zu lesen gab oder sogar Nachschlagewerke
aus Herberts riesiger Sammlung, die ich nach der Arbeit mit nach Hause
brachte. So stachelten wir uns gegenseitig an in unserer Begeisterung, und zum
allerersten Mal hatten mein Vater und ich etwas, das uns verband.
    Es gab nur
einen einzigen Faktor, der das Glück unseres Mo dermann-Fanclu bs trübte, und das war meine Mutter.
Es spielte keine Rolle, dass unser Interesse für Milderhurst ganz unschuldig
angefangen hatte. Es war ihr nicht geheuer, dass mein Vater und ich hinter
verschlossenen Türen eine Welt wiederauferstehen ließen, über die zu sprechen
meine Mutter vehement ablehnte, obwohl sie viel eher berechtigt gewesen wäre
als wir beide, sie für sich zu beanspruchen. Ich wusste, dass ich irgendwann
mit ihr würde darüber reden müssen, aber ich wusste auch, dass das Gespräch
schwierig werden würde.
    Seit ich
wieder bei meinen Eltern wohnte, lief zwischen meiner Mutter und mir alles wie
gehabt. Irgendwie hatte ich mir - naiverweise - vorgestellt, unser Verhältnis
würde eine wundersame Wandlung durchlaufen, dass wir einen liebevollen Umgang
finden, entspannt miteinander plaudern würden, dass meine Mutter mir vielleicht
sogar ihr Herz ausschütten und mir ihre Geheimnisse offenbaren würde. Das hatte
ich zumindest gehofft. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass nichts
dergleichen geschah. Zwar war meine Mutter froh, mich im Haus zu haben,
dankbar, dass ich ihr half, meinen Vater zu pflegen, und sie war auch etwas
toleranter als sonst, wenn es um Meinungsverschiedenheiten ging, und doch
schien sie mir distanzierter denn je, abwesend und in sich gekehrt und sehr,
sehr schweigsam. Anfangs dachte ich, der Herzinfarkt meines Vaters hätte sie
einfach schrecklich mitgenommen, dass die Angst um ihn und die anschließende
Erleichterung sie dazu gebracht hätten, die Dinge noch einmal mit anderen
Augen zu betrachten. Aber als die Wochen vergingen und sich nichts änderte,
begann ich mir Sorgen zu machen. Manchmal, wenn ich in die Küche kam, stand
sie reglos an der Spüle, die Hände im schaumigen Spülwasser, und starrte
gedankenverloren aus dem Fenster. Dann war sie so geistesabwesend, als hätte
sie vergessen, wer sie war und wo sie sich befand.
    Genau in
diesem Zustand fand ich sie an dem Abend vor, als ich mit ihr über unser
Lesevergnügen reden wollte.
    »Mum?«,
sagte ich. Sie schien mich nicht gehört zu haben, und ich ging ein bisschen
näher, blieb aber am Tisch stehen. »Mum?«
    Sie wandte
sich vom Fenster ab. »Ah, Edie. Hallo. Schön, nicht wahr, wie langsam die Sonne
um diese Jahreszeit untergeht?«
    Ich ging
zu ihr ans Fenster, wo der letzte pfirsichfarbene Streifen gerade vom dunklen
Himmel verschluckt wurde. Es war wirklich ein hübscher Anblick, aber
andererseits auch nicht so spektakulär, dass sie ihm eine derart inbrünstige
Aufmerksamkeit hätte widmen müssen.
    Als sie
weiterhin schwieg, räusperte ich mich. Ich erzählte ihr, dass ich angefangen
hatte, meinem Vater den Modermann vorzulesen,
dann erklärte ich ihr sehr vorsichtig, welche Umstände dazu geführt hatten,
vor allem, dass es nicht geplant gewesen war. Sie wirkte abwesend, nickte
kurz, als ich ihr berichtete, wie fasziniert mein Vater von dem Schloss war,
das einzige Anzeichen, aus dem ich schließen konnte, dass sie mir überhaupt
zuhörte. Nachdem ich alles erwähnt hatte, was mir wichtig erschien, wartete ich
ab und wappnete mich für das, was kommen würde.
    »Nett von
dir, dass du deinem Vater vorliest, Edie. Es macht ihm Spaß.«
    Das war
nicht gerade die Antwort, mit der ich gerechnet hatte.
    »Dieses
Buch entwickelt sich allmählich zu einer Art Familientradition.« Ein
angedeutetes Lächeln. »Ein Kamerad in Zeiten der Krankheit. Wahrscheinlich
erinnerst du dich nicht mehr daran. Ich habe es dir mitgebracht, als du mit
Mumps im Bett lagst. Du warst so unglücklich, da habe ich mir keinen anderen
Rat mehr gewusst.«
    Aha. Es
war also wirklich meine Mutter gewesen. Nicht Miss Perry, sondern sie hatte den Modermann für mich ausgesucht. Das perfekte
Buch, der perfekte Zeitpunkt. Ich fand meine Stimme wieder. »Doch, ich erinnere
mich daran.«
    »Es ist
gut, dass dein Vater etwas zum Nachdenken hat, während er im Bett liegt. Und
noch besser ist, dass du ihm Gesellschaft leistest und er seine Gedanken mit
dir teilen kann.

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