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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Es kommt ihn ja kaum jemand besuchen. Andere Leute haben viel
um die Ohren, seine Kollegen. Die meisten haben ihm eine Karte geschickt, und
ich nehme an, seit er in Rente ist ... Na ja, die Zeit geht weiter, nicht wahr?
Es ist ... es ist nicht leicht zu verdauen, wenn man merkt, dass die Leute
einen vergessen haben.«
    Sie wandte
sich ab, aber ich konnte noch sehen, dass sie die Lippen zusammengepresst
hatte. Ich hatte das Gefühl, dass wir nicht nur über meinen Vater sprachen, und
weil damals alle Gedanken nach Milderhurst führten, zu Juniper Blythe und
Thomas Cavill, fragte ich mich unwillkürlich, ob meine Mutter ihrer großen
Liebe nachtrauerte, einer Beziehung, die sie eingegangen war, lange bevor sie
meinen Vater kennengelernt hatte, als sie jung und leicht zu beeindrucken und
leicht zu verletzen gewesen war. Je länger ich darüber nachdachte, je länger
ich verstohlen ihr nachdenkliches Profil betrachtete, desto wütender wurde
ich. Wer war dieser Thomas Cavill, der sich während des Kriegs aus dem Staub
gemacht und zwei gebrochene Herzen zurückgelassen hatte? Das der armen Juniper,
die in dem zerfallenden Schloss ihrer Familie dahinwelkte, und das meiner
Mutter, die noch Jahrzehnte später ihren Kummer nicht loswurde.
    »Nur eins,
Edie ...« Meine Mutter hatte sich wieder zu mir umgedreht und sah mich traurig
an. »Es wäre mir lieber, wenn dein Vater nichts von meiner Evakuierung erfahren
würde.«
    »Dad weiß
nicht, dass du evakuiert warst?«
    »Doch,
aber er weiß nicht, wo ich evakuiert war. Er weiß nichts von Milderhurst.«
    Plötzlich
betrachtete sie sehr eingehend ihre Hände, hob jeden Finger einzeln an, rückte
ihren Ehering zurecht.
    »Aber dir
ist doch wohl klar«, sagte ich sanft, »dass er unglaublich beeindruckt wäre,
wenn er wüsste, dass du mal dort gewohnt hast, oder?«
    Ein
zaghaftes Lächeln lockerte ihre Beherrschung, aber sie hob den Blick nicht von
ihren Händen.
    »Ich meine
es ernst. Er ist völlig hingerissen von dem Schloss.«
    »Trotzdem«,
sagte sie. »Mir ist es lieber so.«
    »Okay.
Verstehe.« Ich verstand natürlich überhaupt nichts. In dem fahlen Licht der
Straßenlaterne, das in die Küche fiel, wirkte sie auf einmal sehr verletzlich,
wie eine andere Frau, jünger und irgendwie zerbrechlicher, und ich hakte nicht
nach. Aber ich beobachtete sie weiterhin, sie wirkte so in Gedanken versunken,
dass ich nicht wegschauen konnte.
    »Weißt du,
Edie«, sagte sie leise, »als ich noch klein war, hat meine Mutter mich um diese
Zeit immer losgeschickt, um deinen Großvater aus dem Pub zu holen.«
    »Wirklich?
Ganz allein?«
    »Das war
nichts Ungewöhnliches damals, vor dem Krieg. Ich bin hingegangen, habe an der
Tür gewartet, und wenn er mich gesehen hat, hat er mir zugewinkt und sein Glas
ausgetrunken, und dann sind wir zusammen nach Hause gegangen.«
    »Habt ihr
beide euch nahgestanden?«
    Sie legte
den Kopf leicht schief. »Ich glaube, ich war ihm ein Rätsel. Und deiner
Großmutter auch. Habe ich dir schon mal erzählt, dass sie wollte, dass ich nach
der Schule Friseurin werde?«
    »Wie
Rita.«
    Sie
blinzelte und schaute auf die nachtschwarze Straße hinaus. »Ich glaube nicht,
dass ich viel Talent dazu gehabt hätte.«
    »Ich weiß
nicht. Mit der Heckenschere gehst du jedenfalls sehr geschickt um.«
    Nach
kurzem Zögern lächelte sie mich von der Seite an, aber es war kein sehr
natürliches Lächeln, und ich hatte das Gefühl, dass sie noch etwas sagen
wollte. Ich wartete, aber was auch immer es gewesen sein mag, sie hatte es
sich anders überlegt und sich wieder dem Fenster zugewandt.
    Ich machte
einen halbherzigen Versuch, mit ihr über ihre Schulzeit zu sprechen, wohl in
der Hoffnung, dass sie Thomas Cavill erwähnen würde, aber sie ließ sich nicht
darauf ein. Sie sagte nur, sie sei recht gern zur Schule gegangen, und fragte,
ob ich eine Tasse Tee wolle.
     
    Dass meine
Mutter an dem Tag so wenig zugänglich war, hatte auch sein Gutes; so blieb mir
eine Diskussion über meine Trennung von Jamie erspart. Da Verdrängung bei uns
eine Art Familienhobby ist, fragte meine Mutter mich nicht nach Einzelheiten
und kam mir nicht mit klugen Ratschlägen. So konnten wir beide an dem Mythos
festhalten, dass ich mich ganz selbstlos entschlossen hatte, nach Hause zu
kommen und sie bei der Pflege meines Vaters zu unterstützen.
    Von Rita
kann ich das leider nicht behaupten. Schlechte Nachrichten verbreiten sich
schnell, und meine Tante ist eine wahre Freundin in der Not, ich hätte

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