Morton, Kate
Küche?«
»Ja, das
wäre passend. Soll ich eine holen?«
Saffy
nickte lächelnd, doch als sie an das Kind dachte, das zu ihnen kommen würde,
schüttelte sie den Kopf. »Ist es nicht furchtbar, Lucy?«
»Bestimmt
erwartet niemand von Ihnen, dass Sie dem Kind Ihre beste Kristallvase ins
Zimmer stellen.«
»Nein, ich
meine das Ganze. Die Evakuierung an sich. Stell dir bloß all die ängstlichen
Kinder vor und deren arme Mütter in London, die lächelnd zum Abschied winken
müssen, wenn ihre Kleinen an unbekannte Orte verschickt werden. Und wozu das
alles? Um die Städte zu räumen für den Krieg. Damit junge Männer losgeschickt
werden können, andere junge Männer in fremden Ländern zu töten.«
Lucy sah
Saffy zuerst überrascht, dann besorgt an. »Sie dürfen sich das alles nicht so
zu Herzen nehmen.«
»Ich weiß,
ich weiß. Ich versuch's ja.«
»Wir
müssen zuversichtlich sein.«
»Natürlich.«
»Es ist
doch ein Glück, dass es Menschen wie Sie gibt, die bereit sind, die armen
kleinen Dinger bei sich aufzunehmen. Um wie viel Uhr soll das Kind hier
ankommen?«
Saffy
stellte die leere Teetasse ab und nahm wieder ihre Schere zur Hand. »Percy
meinte, die Busse kommen irgendwann zwischen drei und sechs. Genauer konnte sie
es mir nicht sagen.«
»Dann
sucht sie also eins aus?« Lucys Stimme klang ein bisschen belegt, und Saffy wusste,
was sie dachte: Percy war kaum die Richtige, wenn es um Angelegenheiten ging,
die ein gewisses Maß an Mütterlichkeit erforderten.
Lucy schob
den Stuhl vor das nächste Fenster, und Saffy beeilte sich mitzuhalten. »Es war
die einzige Möglichkeit, ihre Zustimmung zu bekommen - du weißt ja, wie sehr
sie immer um das Schloss besorgt ist. Sie fürchtet, dass wir uns am Ende ein
kleines Ungeheuer ins Haus holen, das die Schnitzereien an den Treppengeländern
beschädigt, die Tapeten beschmiert und die Vorhänge anzündet. Ich muss sie
immer wieder daran erinnern, dass diese Mauern schon seit Jahrhunderten hier
stehen und die Normannen, die Kelten und Juniper überlebt haben. Da wird ein
armes Londoner Kind sie auch nicht zum Einsturz bringen.«
Lucy
musste lachen. »Wo wir gerade von Miss Juniper reden. Wird sie zum Essen hier
sein? Ich frage nur, weil ich gesehen zu haben glaube, wie sie im Wagen Ihres
Vaters weggefahren ist.«
Saffy
wedelte mit der Schere. »Da weiß ich auch nicht mehr als du. Das letzte Mal,
dass ich wusste, was Juniper vorhatte, das war ...« Sie überlegte einen Moment,
das Kinn auf die Fingerknöchel gestützt, dann warf sie theatralisch die Arme
in die Luft. »Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern.«
»Zuverlässigkeit
gehört nicht gerade zu Miss Junipers Tugenden.«
»Ja«,
sagte Saffy mit einem liebevollen Lächeln. »Das stimmt allerdings.«
Lucy stieg
vom Stuhl, zögerte, fuhr sich mit den schlanken Fingern über die Stirn. Eine
merkwürdige, altmodische Geste, ein bisschen wie ein Burgfräulein, das eine
Ohnmacht nahen spürt, dachte Saffy amüsiert und überlegte, ob sie diese liebenswerte
Angewohnheit vielleicht in ihrem Roman verwenden könnte - sie konnte sich gut
vorstellen, dass Adele so etwas tat, wenn ein Mann sie nervös machte ...
»Miss
Saffy?«
»Hmm?«
»Ich würde
gern mit Ihnen über eine ernste Angelegenheit sprechen.«
Als Lucy
ausatmete, aber nicht weitersprach, fragte Saffy sich eine Schrecksekunde lang,
ob sie womöglich krank war. Vielleicht hatte der Arzt ihr etwas Schlimmes
eröffnet. Das würde jedenfalls Lucys Zurückhaltung erklären und auch, warum sie
in letzter Zeit oft so geistesabwesend war. Erst vor ein paar Tagen war Saffy
am Morgen in die Küche gekommen und hatte gesehen, wie Lucy in Gedanken
versunken aus dem Fenster geschaut hatte, während die Eier vor ihr im Topf kochten
und kochten, wo Vater sie doch weich mochte.
»Was ist
es denn, Lucy?« Saffy stand auf und bedeutete Lucy, sich zu ihr zu setzen. »Ist
alles in Ordnung? Du siehst ja ganz blass aus. Soll ich dir ein Glas Wasser
holen?«
Lucy
schüttelte den Kopf, sah sich jedoch nach etwas um, auf das sie sich stützen
konnte, und entschied sich für die Lehne des nächsten Sessels.
Saffy
hatte sich auf die Chaiselongue gesetzt und wartete. Und als Lucy endlich mit
der Sprache herausrückte, war sie froh, dass sie saß.
»Ich werde
heiraten«, sagte Lucy. »Also, jemand hat mir einen Heiratsantrag gemacht, und
ich habe Ja gesagt.«
Zuerst
dachte Saffy, ihre Haushälterin wäre übergeschnappt oder wollte sie auf den Arm
nehmen. Es
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