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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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haben mich missverstanden. Ich
habe überhaupt nichts herausgefunden, und ich bin auch nicht von der Polizei.
Oder von der Militärpolizei. Ich bin gekommen, weil ich Ihren Bruder suche,
weil ich Thomas suche, und ich hatte gehofft, Sie könnten mir dabei helfen.«
    Er legte
den Kopf schief. »Sie dachten, ich könnte Ihnen ... ? Ich könnte Ihnen helfen?«
Dann, als er begriff, wich alle Farbe aus seinen Wangen. Er hielt sich an der
Rückenlehne der Bank fest und nickte mit einer Verbitterung, die mir einen
Stich versetzte. »Ich verstehe.« Ein schwaches Lächeln. »Ich verstehe.«
    Ich hatte
ihn aus der Fassung gebracht. Zwar hatte ich keine Ahnung, was die Polizei mit
Thomas Cavill zu tun haben sollte, aber mir war klar, dass ich ihm irgendwie
erklären musste, was ich von ihm wollte. »Ihr Bruder war der Lehrer meiner
Mutter, damals, vor dem Krieg. Wir haben uns neulich über ihn unterhalten,
meine Mutter und ich, und sie hat mir erzählt, wie sehr er sie für die
Literatur begeistert hat. Und dass sie es sehr bedauert, den Kontakt zu ihm
verloren zu haben.« Ich schluckte, überrascht und zugleich beunruhigt darüber,
wie leicht es mir fiel, so dreist zu lügen. »Sie würde so gern wissen, was aus
ihm geworden ist, ob er nach dem Krieg weiter als Lehrer gearbeitet hat, ob er
geheiratet hat.«
    Er hatte
die ganze Zeit auf die Themse hinaus gesehen, aber an seinem glasigen Blick
erkannte ich, dass er ins Leere schaute. Jedenfalls sah er nichts von dem, was
in seinem Blickfeld lag, weder die Leute, die über die Brücke schlenderten,
noch die kleinen Boote, die am anderen Ufer schaukelten, noch die Fähre mit
den Touristen, die eifrig fotografierten. »Ich fürchte, ich muss Sie
enttäuschen«, sagte er schließlich. »Ich habe keine Ahnung, was aus Tom
geworden ist.«
    Theo
setzte sich und lehnte sich gegen den schmiedeeisernen Bankrücken. »Mein Bruder
ist 1941 verschwunden.
Mitten im Krieg. Irgendwann klopfte es bei meiner Mutter an der Tür, und da
stand ein Bobby. Einer von den im Krieg eingesetzten Hilfspolizisten - ein
Freund meines Vaters, als der noch lebte, die beiden haben zusammen im Ersten
Weltkrieg gekämpft ... Gott«, Theo ballte die Hand zur Faust, »der arme Kerl
war ganz verlegen. Muss ihm schwergefallen sein, so eine Nachricht zu
überbringen.«
    »Was denn
für eine Nachricht?«
    »Tom hatte
sich nicht zum Dienst zurückgemeldet, und der Bobby war gekommen, um ihn zu
holen.« Theo seufzte. »Unsere arme Mutter. Was sollte sie tun? Sie hat ihm die
Wahrheit gesagt: dass Tom nicht zu Hause war und sie nicht wusste, wo er sich
aufhielt, dass er allein lebte, seit er verwundet worden war. Er konnte sich
nicht mehr an das Familienleben gewöhnen, nach Dünkirchen.«
    »Er wurde
aus Dünkirchen evakuiert?«
    Theo
nickte. »Er hätte es beinahe nicht geschafft. Danach war er wochenlang im
Lazarett. Sein Bein ist wieder einigermaßen geheilt, aber meine Schwestern
meinten, er war danach nicht mehr derselbe. Er lachte noch immer, wenn ein
Scherz gemacht wurde, aber es kam mit Verzögerung. Als müsste er erst in einem
Drehbuch nachlesen, was er zu tun und zu sagen hatte.«
    In der
Nähe hatte ein Kind angefangen zu weinen, und Theo schaute in Richtung Uferweg.
Er lächelte schwach. »Dem Kleinen ist sein Eis runtergefallen«, sagte er. »Es
vergeht kein Samstagnachmittag in Putney, ohne dass irgend so ein kleiner Kerl
sein Eis fallen lässt.«
    Ich
wartete darauf, dass er mit seiner Geschichte fortfuhr, und als er das nicht
tat, hakte ich vorsichtig nach: »Und was ist dann passiert? Was hat Ihre Mutter
unternommen?«
    Er blickte
immer noch zum Weg hinüber, aber er klopfte mit den Fingern von unten gegen die
Bank und sagte leise: »Tom hatte sich mitten im Krieg unerlaubt von der Truppe
entfernt. Der Bobby konnte nichts machen. Aber er war ein anständiger Kerl und
hat aus Respekt für meinen Vater Nachsicht walten lassen. Er hat meiner Mutter
vierundzwanzig Stunden gegeben, um Tom zu finden und ihn dazu zu bringen, dass
er sich zum Dienst meldete, ehe man die Sache offiziell verfolgen würde.«
    »Aber das
hat sie nicht getan? Ich meine, sie hat ihn nicht gefunden?«
    Er
schüttelte den Kopf. »Es war, wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Meine
Mutter und meine Schwestern sind fast verrückt geworden. Sie haben ihn überall
gesucht ...« Er zuckte kraftlos die Schultern. »Ich konnte ihnen nicht helfen,
ich war damals nicht zu Hause — das werde ich mir nie verzeihen. Ich war oben
im Norden, im

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