Morton, Kate
Theos Geschichte
anfing, mit meiner übereinzustimmen. »Erinnern Sie sich noch an den Namen der
Frau?«
»Den hat
er mir nie genannt.«
Die
Enttäuschung raubte mir den Atem.
»Er hat
darauf beharrt, dass er ihre Familie zuerst kennenlernen müsse. Ich kann Ihnen
gar nicht sagen, wie mich das über die Jahre gequält hat«, sagte er. »Wenn ich
nur gewusst hätte, wer sie war, dann hätte ich gewusst, wo ich mit der Suche
hätte anfangen können. Was, wenn sie auch verschwunden war, wenn sie beide
einen Unfall gehabt hatten? Was, wenn ihre Familie Informationen besaß, die
mir hätten helfen können?«
Es lag mir
auf der Zunge, ihm von Juniper zu erzählen, doch ich entschied mich dagegen. Es
hatte keinen Zweck, ihm Hoffnungen zu machen, da die Schwestern Blythe auch
nichts über den Verbleib von Thomas Cavill wussten. Sie waren ebenso wie die
Polizei davon überzeugt, dass er mit einer anderen Frau durchgebrannt war. »Der
Brief«, sagte ich, einem spontanen Impuls folgend. »Wer hat den Ihrer Meinung
nach geschickt, wenn es nicht Tom war? Und warum? Warum sollte jemand so etwas
tun?«
»Das weiß
ich nicht, aber eins kann ich Ihnen sagen: Tom hat nicht geheiratet. Ich habe
mich beim Standesamt erkundigt. Ich habe auch im Sterberegister nachgesehen.
Das mache ich immer noch. Einmal im Jahr, für alle Fälle. Nichts. Keine Spur
von ihm nach 1941. Es ist,
als hätte er sich in Luft aufgelöst.«
»Aber
niemand verschwindet spurlos.«
»Nein«,
sagte er mit einem müden Lächeln. »Nein, da haben Sie recht. Und ich habe mein
Leben lang nicht aufgehört, nach ihm zu suchen. Vor langer Zeit habe ich sogar
mal einen Detektiv angeheuert. Reine Geldverschwendung. Hab ein paar Tausend
Pfund ausgegeben, nur damit der Idiot mir erklärte, dass es im London der
Nachkriegszeit sehr einfach war, spurlos zu verschwinden, wenn man das
wollte.« Er seufzte. »Es scheint niemanden zu interessieren, dass Tom nicht
verschwinden wollte.«
»Und die
Anzeigen?« Ich zeigte auf die Kopien, die zwischen uns auf der Bank lagen.
»Die habe
ich aufgegeben, als unser jüngster Bruder, Joey, krank wurde. Ich habe mir
gesagt, es wäre den Versuch wert, für den Fall, dass ich die ganze Zeit
falschgelegen hatte und Tom immer noch irgendwo lebte und nicht wusste, wie er
es anstellen sollte, zu uns zurückzukommen. Joey war ein schlichtes Gemüt, der
Arme, aber er hat Tom angehimmelt. Es hätte ihm alles bedeutet, ihn noch einmal
zu sehen.«
»Aber es
kam keine Reaktion.«
»Nein, nur
ein paar Telefonstreiche.«
Die Sonne
war untergegangen und hatte uns ein herrliches Abendrot beschert. Ein Luftzug
streifte meine Arme, und ich stellte fest, dass wir wieder allein im Garten
waren, sagte mir, dass Theo ein alter Mann war, der lieber zurück ins Haus
gehen und sich an seinem Abendessen erfreuen sollte, anstatt über seine
traurige Vergangenheit zu grübeln. »Es wird kühl«, sagte ich. »Wollen wir
hineingehen?«
Er nickte
und versuchte zu lächeln, aber als wir uns erhoben, spürte ich, dass ihn die
Kräfte verlassen hatten. »Ich bin nicht naiv, Edie«, sagte er, als wir vor der
Tür standen. Als ich sie aufzog, bestand er darauf, sie für mich aufzuhalten
und mir den Vortritt zu lassen. »Ich weiß, dass ich Tom nicht wiedersehen
werde. Die Anzeigen, einmal im Jahr im Sterberegister nachsehen, die
Familienfotos und die anderen Andenken, die ich aufbewahre, um sie ihm
irgendwann zu zeigen - all das tue ich nur, weil es mir zur Gewohnheit geworden
ist, weil es mich irgendwie über seine Abwesenheit hinwegtröstet.«
Ich wusste
genau, was er meinte.
Aus dem
Speisesaal drangen Geräusche zu uns - das Scharren von Stühlen, das Klappern
von Besteck, lebhafte Stimmen -, aber er blieb mitten im Korridor stehen.
Hinter ihm welkte eine violette Blume dahin, die Neonröhre an der Decke summte
leise, und ich sah, was mir draußen entgangen war. Auf seinen Wangen
schimmerten getrocknete Tränen. »Danke«, sagte er leise. »Ich weiß nicht,
warum Sie den heutigen Tag für Ihren Besuch gewählt haben, Edie, aber ich bin
froh, dass Sie gekommen sind. Ich war schon den ganzen Tag traurig - es gibt
solche Tage —, und es tut mir gut, über ihn zu sprechen. Ich bin jetzt der
Einzige, der noch übrig ist: Meine Brüder und Schwestern leben hier drin
weiter.« Er legte sich eine Hand aufs Herz. »Sie fehlen mir alle, aber es ist
unmöglich zu beschreiben, wie sehr ich Tom vermisse. Die Schuldgefühle ...«
Seine Unterlippe zitterte, doch es gelang
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