Morton, Kate
tief enttäuscht, als ich feststellte,
dass es rein gar nichts aus der Zeit nach 1939 gab.
»Das war's
dann«, sagte ich, bemüht, eher einsichtig als undankbar zu klingen.
»Nicht
ganz.« Miss Yeats reichte mir ein paar weitere Kopien.
Es
handelte sich um drei Kleinanzeigen, alle vom März 1981, eine aus der Times, eine aus
dem Guardian und eine
aus dem Daily Telegraph. Alle
wiesen denselben Wortlaut auf:
»Thomas
Cavill, ehemals aus Elephant and Castle, wird gebeten, sich dringend bei Theo
unter der Tel.-Nr. (01)3947521 zu
melden.«
»Hm«,
sagte ich.
»Hm«,
machte Miss Yeats. »Ziemlich seltsam, finden Sie nicht auch? Was könnte das
bedeuten?«
Ich
schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Ahnung. »Eins steht fest: Dieser Theo, wer
auch immer er sein mag, war ziemlich erpicht darauf, Thomas zu kontaktieren.«
»Dürfte
ich fragen, meine Liebe ... ich meine, ich will nicht neugierig sein, aber
hilft Ihnen das irgendwie weiter bei Ihrem Projekt?«
Ich warf
noch einen Blick auf die Kleinanzeigen und schob meine Haare hinter die Ohren.
»Vielleicht.«
»Denn
falls Sie sich für seine Militärdienstakten interessieren - das Kriegsmuseum
hat eine wunderbare Sammlung, wissen Sie. Dann gibt es auch noch das
Staatsarchiv, wo Geburten, Sterbefälle und Hochzeiten dokumentiert werden. Und
wenn ich noch ein bisschen Zeit hätte, könnte ich bestimmt ... Ach du je!«,
rief sie und errötete, als sie auf ihre Uhr schaute. »Wie schade! Wir machen
gleich zu. Ausgerechnet, wo wir gerade eine Spur gefunden haben. Kann ich noch
irgendetwas für Sie tun, ehe man uns einsperrt?«
»Ah, ja«,
sagte ich. »Eine Kleinigkeit. Könnte ich vielleicht mal Ihr Telefon benutzen?«
Die
Anzeigen waren vor elf Jahren aufgegeben worden, ich weiß daher nicht genau,
was ich eigentlich erwartete, ich weiß nur, was ich mir erhoffte: dass ein Mann
namens Theo den Hörer abnehmen und mir bereitwillig alles über die letzten
fünfzig Jahre in Thomas Cavills Leben erzählen würde. Es erübrigt sich zu
erwähnen, dass nichts dergleichen geschah. Bei meinem ersten Versuch kam das
penetrante Signal, das auf eine nicht existierende Nummer verweist, was mich
dermaßen frustrierte, dass ich mit dem Fuß aufstampfte wie ein störrisches
Kind. Miss Yeats, die meinen Wutanfall netterweise ignorierte, riet mir, es mit
der seit Kurzem neuen Vorwahl 071 zu
probieren, und schaute mir über die Schulter, während ich die Nummer wählte.
Ihre Argusaugen machten mich nervös, ich verwählte mich und musste es ein
drittes Mal versuchen, und endlich war die Verbindung hergestellt.
Ich tätschelte
den Hörer, als das Freizeichen ertönte, und fasste Miss Yeats aufgeregt an der
Schulter, als sich am anderen Ende eine freundliche Frau meldete, die mir, als
ich nach Theo fragte, erklärte, sie habe das Haus vor einem Jahr von einem älteren
Herrn dieses Namens gekauft. »Theodore Cavill«, sagte sie. »Den suchen Sie
doch, nicht wahr?«
Ich konnte
kaum an mich halten. Theodore Cavill. Also ein
Verwandter. »Ja, richtig.«
Miss Yeats
klatschte in die Hände wie ein Seehund.
»Er ist in
ein Seniorenheim in Putney gezogen«, sagte die Frau am Telefon. »Direkt an der
Themse. Er war ganz begeistert darüber. Er sagte, er hätte früher in derselben
Straße als Lehrer gearbeitet.«
Ich fuhr
hin, um ihn zu besuchen. Noch am selben Abend.
In Putney
gab es fünf Seniorenheime, aber nur eins lag an der Themse, und ich fand es
ohne Schwierigkeiten. Der Nieselregen hatte aufgehört, und der Abend war warm
und klar. Ich stand vor dem schlichten Backsteingebäude wie jemand in einem
Traum und verglich die Adresse mit den Aufzeichnungen auf meinem Notizblock.
Kaum hatte
ich die Eingangshalle betreten, wurde ich von der diensthabenden Pflegerin
begrüßt, einer jungen Frau mit Pixiefrisur und einem schiefen Lächeln. Als ich
ihr erklärte, wen ich besuchen wollte, strahlte sie.
»Wie schön!
Theo ist einer unserer Nettesten.«
Da kamen
mir die ersten Zweifel, und ich erwiderte ihr Lächeln ziemlich unsicher.
Hierherzukommen war mir wie ein großartiger Einfall erschienen, aber als wir
uns jetzt dem von Neonlicht erhellten Korridor näherten, war ich mir da nicht
mehr so sicher. Irgendwie war es nicht besonders feinfühlig, sich einem
ahnungslosen alten Herrn aufzudrängen, einem der nettesten im Seniorenheim.
Eine Wildfremde, die ihn zu seiner Familiengeschichte ausfragen wollte. Ich war
schon drauf und dran, den Rückzug anzutreten, aber die Pflegerin war
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