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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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dafür, dass ich vergessen hatte, Handschuhe
einzustecken.
    Die
Schwestern Blythe hatten mich gebeten, nicht zu klopfen, sondern einfach
einzutreten und in den gelben Salon zu kommen. »Es ist wegen Juniper«, hatte
Saffy mir diskret zu verstehen gegeben, als ich am Tag zuvor gegangen war.
»Jedes Mal, wenn es an der Tür klopft, denkt sie, dass er endlich
gekommen ist.« Sie erklärte nicht weiter, wen sie mit er meinte,
aber das war auch nicht nötig.
    Juniper in
Unruhe zu versetzen war das Letzte, was ich wollte, deshalb war ich auf der
Hut, vor allem nach meinem Fauxpas am Tag zuvor. Ich tat, wie mir geheißen,
öffnete die Haustür, trat in die Eingangshalle und folgte dem düsteren
Korridor. Aus irgendeinem Grund hielt ich für einen Moment den Atem an.
    Im Salon
war niemand. Auch Junipers grüner Samtsessel war leer. Ich stand unschlüssig da
und fragte mich, ob ich mich vielleicht in der Uhrzeit geirrt hatte. Da hörte
ich Schritte, und als ich mich umdrehte, stand Saffy in der Tür, wie üblich
elegant gekleidet. Sie sah mich verdutzt an, als hätte ich sie überrascht.
    »Oh!« Sie
blieb wie angewurzelt an der Teppichkante stehen. »Edith, Sie sind schon da?
Aber natürlich«, sagte sie mit einem Blick zur Kaminuhr, »es ist ja fast zehn.«
Sie fuhr sich mit ihrer zarten Hand über die Stirn, bemüht, ein Lächeln zuwege
zu bringen. Aber es wollte ihr nicht gelingen, und sie gab es auf. »Es tut mir
leid, dass Sie warten mussten. Wir hatten einen ereignisreichen Morgen, und
die Zeit ist uns davongelaufen.«
    Etwas
Beklemmendes war mit ihr in das Zimmer getreten und breitete sich aus. »Ist
alles in Ordnung?« fragte ich.
    »Nein«,
antwortete sie, und in ihrem bleichen Gesicht lagen so viel Schmerz und Trauer,
dass ich angesichts des leeren Sessels schon befürchtete, Juniper sei etwas
zugestoßen. Ich war erleichtert, als sie sagte: »Bruno. Er ist verschwunden.
Er ist aus Junipers Zimmer gelaufen, als ich ihr heute Morgen beim Anziehen
helfen wollte, und seitdem haben wir ihn nicht mehr gesehen.«
    »Vielleicht
tollt er irgendwo herum«, sagte ich, »im Wald oder im Garten?« Aber dann musste
ich daran denken, wie er am Tag zuvor ausgesehen hatte, mit seinen hängenden
Schultern und grauen Streifen an seinem Rückgrat, kurzatmig japsend, und ich
wusste, dass dem nicht so war.
    Saffy
schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, das macht er nicht. Er entfernt sich kaum von
Juniper, und wenn doch, dann setzt er sich höchstens auf die Eingangsstufen und
bewacht die Zufahrt.« Sie deutete ein Lächeln an. »So etwas ist noch nie vorgekommen.
Wir machen uns schreckliche Sorgen. Es geht ihm nicht gut, und er ist nicht
mehr der Jüngste. Percy musste ihn gestern schon suchen gehen, und jetzt das.«
Sie rang die Hände, und ich wünschte, ich hätte irgendetwas für sie tun
können.
    »Soll ich
mal bei der Schutzhütte nachsehen, wo ich ihn gestern gesehen habe?«, fragte
ich und wollte mich schon auf den Weg machen. »Vielleicht ist er aus
irgendeinem Grund wieder dort.«
    »Nein ...«
    Das kam so
schroff, dass ich herumfuhr. Sie streckte eine Hand nach mir aus, während sie
mit der anderen den Kragen ihrer Strickjacke an ihren zierlichen Hals drückte.
    »Ich
wollte sagen«, sie ließ den ausgestreckten Arm wieder sinken, »das ist sehr
freundlich von Ihnen, aber es ist nicht nötig. Percy telefoniert gerade mit
dem Neffen von Mrs. Bird, damit er herkommt und uns suchen hilft ... Tut mir
leid, ich drücke mich nicht ganz klar aus. Verzeihen Sie mir, ich bin ganz
durcheinander, aber ...«, sie sah an mir vorbei zur Tür, »... ich hatte
gehofft, Sie einen Moment allein zu sprechen.«
    Sie
presste die Lippen zusammen, und mir wurde klar, dass sie sich nicht nur um
Bruno sorgte, sondern auch aus einem anderen Grund nervös war. »Percy wird
gleich hier sein«, sagte sie leise, »und sie wird Ihnen wie versprochen die
Kladden zeigen, aber bevor sie kommt und Sie mit ihr gehen, muss ich Ihnen
etwas erklären.«
    Saffys
Gesichtsausdruck war so ernst, so gequält, dass ich zu ihr trat und ihr eine
Hand an die schmale Schulter legte. »Kommen Sie«, sagte ich und geleitete sie
zum Sofa, »setzen Sie sich doch. Soll ich Ihnen irgendetwas holen? Vielleicht
eine Tasse Tee?«
    Sie
lächelte mich mit der Dankbarkeit eines Menschen an, der es nicht gewöhnt ist,
fürsorglich behandelt zu werden. »Sehr liebenswürdig, aber nein, danke. Dafür
reicht die Zeit nicht. Setzen Sie sich bitte zu mir.«
    Ein
Schatten bewegte sich an der

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