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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Saffy war mir
nicht nach Plaudereien. Irgendetwas an Saffys Geschichte beunruhigte mich, und
es war vielleicht weniger der Inhalt als vielmehr die Tatsache, dass sie sie
mir überhaupt erzählt hatte. Sie hatte gesagt, es wäre ein Versuch, Percys
Verhalten zu erklären, und ich konnte mir gut vorstellen, dass beide Zwillinge
von Junipers Enttäuschung und dem darauf folgenden Nervenzusammenbruch
erschüttert waren, aber warum behauptete Saffy, dass es für Percy schlimmer
gewesen sei? Vor allem, wo doch Saffy die Mutterrolle gegenüber ihrer
unglücklichen kleinen Schwester übernommen hatte. Percys Unhöflichkeit war ihr
peinlich gewesen, das ja, und sie war bemüht, Percys menschliche Seite
hervorzuheben; aber es kam mir ein bisschen dick aufgetragen vor. Sie war zu
sehr bestrebt, Percy Blythe mit einem Heiligenschein zu versehen.
    Percy blieb an der Kreuzung zweier
Flure stehen und nahm ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Mit ihren
knorrigen Fingern riss sie ein Streichholz an. Im Schein der Flamme leuchtete
für einen Moment ihr Gesicht auf; sie war sichtlich aufgewühlt von den
Ereignissen am Morgen. Als der süßliche Qualm uns einhüllte, sagte ich, um das
Schweigen zu brechen: »Das mit Bruno tut mir wirklich leid. Aber Mrs. Birds
Neffe findet ihn bestimmt.«
    »Ach ja?«
Percy stieß den Rauch aus und musterte mich ohne eine Spur von Freundlichkeit.
Ihr Mundwinkel zuckte. »Tiere wissen, wann ihr Ende naht, Miss Burchill. Sie
wollen niemandem zur Last fallen. Sie sind nicht wie die Menschen, die immerzu
getröstet werden wollen.« Sie neigte den Kopf, um anzudeuten, ich solle ihr um
die Ecke folgen, und ich kam mir dumm und klein vor und beschloss, kein
weiteres Wort des Mitgefühls zu verlieren.
    An der
nächsten Tür, die wir erreichten, blieben wir stehen; es war eine der vielen,
an denen wir bei meiner Besichtigung Monate zuvor vorbeigekommen waren. Die
Zigarette im Mundwinkel, nahm Percy einen großen Schlüssel aus ihrer Tasche
und steckte ihn rasselnd in das Schloss. Es dauerte einen Moment, bis der alte
Mechanismus sich bewegte und die Tür sich quietschend öffnen ließ. Der Raum war
dunkel, es gab keine Fenster, und soweit ich sehen konnte, standen entlang den
Wänden schwere hölzerne Aktenschränke, wie man sie vielleicht noch in
altehrwürdigen Anwaltskanzleien in der Stadt findet. Eine Glühbirne hing an
einem dünnen, schwachen Kabel und pendelte im Luftzug leicht hin und her.
    Ich
wartete darauf, dass Percy vorausging, aber als sie keinerlei Anstalten dazu
machte, sah ich sie verunsichert an. Sie zog an der Zigarette und sagte nur:
»Ich gehe da nicht rein.«
    Vielleicht
registrierte sie meine Verblüffung, denn sie fügte hinzu: »Ich ertrage keine
engen Räume. Um die Ecke dort steht eine Petroleumlampe. Holen Sie sie her,
dann zünde ich sie Ihnen an.«
    Ich warf
einen Blick in den engen, dunklen Raum. »Funktioniert die Glühbirne nicht?«
    Sie
musterte mich einen Moment lang, dann zog sie an einer Schnur, und die
pendelnde Birne flackerte kurz auf, verbreitete jedoch nur noch schwaches
Licht, in dem die Schatten hin und her flatterten. Das Licht reichte kaum aus,
einen Quadratmeter Fläche zu beleuchten. »Sie sollten zusätzlich die Lampe
benutzen.«
    Tapfer
lächelnd ging ich um die Ecke, wo ich die Lampe fand. Sie machte ein
schwappendes Geräusch, als ich sie in die Hand nahm. »Klingt vielversprechend«,
bemerkte Percy Blythe. »Denn ohne Petroleum nützt sie nicht viel.« Ich hielt
die Lampe am Sockel fest, während sie den Glasschirm abnahm und den Docht
geradezupfte, bevor sie ihn anzündete. »Ich konnte den Geruch noch nie
ausstehen«, sagte sie und setzte den Glasschirm wieder auf. »Er erinnert mich
an Bunker, Orte der Angst und Hilflosigkeit.«
    »Aber auch
Orte der Sicherheit, würde ich meinen. Und vielleicht auch des Trosts?«
    »Für
manche vielleicht, Miss Burchill.«
    Sie sagte
nichts mehr, während ich den dünnen metallenen Tragegriff überprüfte, um zu
sehen, ob er halten würde.
    »Diesen
Raum hat schon seit Ewigkeiten niemand mehr betreten«, sagte Percy Blythe. »Da
hinten steht ein Schreibtisch. Sie finden die Kladden in den Kisten darunter.
Ich bezweifle, dass sie irgendwie geordnet sind. Unser Vater ist während des
Kriegs gestorben, da hatten wir andere Probleme. Damals hatte niemand Zeit,
sich um das Ordnen von Papieren zu kümmern.« Es klang, als wollte sie meinen
Vorwürfen zuvorkommen.
    »Natürlich.«
    Der Anflug
eines Zweifels huschte über ihr

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