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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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gelesen worden sein. Aber das waren nur allgemeine Überlegungen; ich brauchte
Namen, Daten, Einzelheiten, bevor ich bestimmen konnte, wie ernst der Vorwurf
in dem Brief zu nehmen war. Denn wenn er der Wahrheit entsprach, wenn Raymond
Blythe sich tatsächlich die Geschichte vom Modermann unrechtmäßig
angeeignet hatte, waren die Konsequenzen unabsehbar.
    Es war die
Art Entdeckung, von der Gelehrte und Historiker - und genesende Väter in Barnes
— träumen, mit denen sich ein karrierefördernder Gewinn machen lässt, aber mich
versetzte sie nur in Panik. Ich wollte nicht, dass es sich als wahr erwies; ich
konnte nur hoffen, dass es sich um einen dummen Scherz handelte oder um ein
Missverständnis. Meine Vergangenheit, meine Liebe zu Büchern und zum Lesen
waren unauflöslich verbunden mit Raymond Blythes Modermann. Zu akzeptieren, dass es gar nicht seine Geschichte war, dass er sie
jemand anderem gestohlen, dass sie ihre Wurzeln nicht im fruchtbaren Boden
von Schloss Milderhurst hatte, käme nicht nur der Demontage einer
literarischen Legende gleich, es wäre ein grausamer persönlicher Schlag.
    Aber wie
dem auch sei, ich hatte den Brief nun einmal gefunden, und ich wurde
schließlich dafür bezahlt, über Raymond Blythes Entwurf, vor allem über die
Anfänge des Modermann zu schreiben. Ich konnte den
Vorwurf des Plagiats nicht einfach ignorieren, ob es mir nun gefiel oder nicht.
Vor allem ließe sich damit möglicherweise erklären, warum Raymond Blythe sich
derart in Zurückhaltung geübt hatte, wenn das Thema auf seine Inspiration kam.
    Ich
brauchte Hilfe. Und ich wusste auch schon, von wem ich sie bekommen konnte.
Zurück im Bauernhaus ging ich Mrs. Bird aus dem Weg und eilte schnurstracks in
mein Zimmer. Ich hatte den Hörer schon in der Hand, bevor ich mich überhaupt
hingesetzt hatte. Meine Finger verhaspelten sich, so eilig hatte ich es,
Herberts Nummer zu wählen.
    Das
Freizeichen ertönte in der Leitung, ich wartete und wartete, aber niemand ging
ran.
    »Nein!«,
flehte ich den Hörer an.
    Ich legte
auf, dann versuchte ich es noch einmal, doch ohne Erfolg. Ich war drauf und
dran, meinen Vater anzurufen, und nur die Sorge, was die Aufregung seinem
Herzen antun könnte, hielt mich davon ab. Dann fiel mein Blick auf Adam
Gilberts Abschrift seines Gesprächs mit den Schwestern Blythe.
    Ich
wählte, ich wartete. Keine Antwort. Ich wählte erneut.
    Endlich
das vertraute Klicken, wenn der Hörer abgenommen wird. »Hallo, hier spricht
Mrs. Button.«
    Ich hätte
heulen können vor Freude. »Edith Burchill hier. Ich möchte gern Adam Gilbert
sprechen.«
    »Tut
mir leid, Miss Burchill. Mr. Gilbert ist zu einem Krankenhaustermin
nach London gefahren.«
    »Ach so«,
murmelte ich enttäuscht.
    »Er müsste
in ein oder zwei Tagen wieder zurück sein. Ich kann ihm eine Nachricht hinterlassen,
wenn Sie wollen, damit er Sie zurückruft.«
    »Nein«,
sagte ich. Das war zu spät, ich brauchte jetzt Hilfe - andererseits war es
besser als nichts. »Ja - in Ordnung. Danke. Richten Sie ihm doch bitte aus,
dass es wichtig ist. Dass ich möglicherweise über etwas gestolpert bin, das im
Zusammenhang mit dem Rätsel steht, über das wir uns unterhalten haben.«
    Den Rest
des Abends verbrachte ich damit, den Brief zu betrachten, unergründliche
Muster in mein Notizbuch zu kritzeln und Herberts Nummer zu wählen; den
Phantomstimmen zu lauschen, die in der leeren Telefonleitung gefangen waren. Um
elf Uhr fand ich mich schließlich damit ab, dass es zu spät war, Herberts
leeres Haus noch länger zu belästigen, und dass ich vorerst mit meinem Problem
auf mich allein gestellt war.
    Als ich am
nächsten Morgen erschöpft und unausgeschlafen zum Schloss aufbrach, fühlte ich
mich, als wäre ich die ganze Nacht durch Morast gewatet. Ich hatte den Brief in
der Innentasche meiner Jacke verstaut und tastete immer wieder danach, um mich
zu vergewissern, dass er noch da war. Ich weiß nicht, warum, aber als ich mein
Zimmer verließ, verspürte ich den Drang, ihn sicher zu verwahren und am Leib zu
tragen. Den Brief auf dem Schreibtisch liegen zu lassen war undenkbar. Es war
keine überlegte Entscheidung, es war auch nicht die Angst, dass jemand anders
ihn im Lauf des Tages zufällig finden könnte. Es war die seltsame brennende Überzeugung,
dass der Brief zu mir gehörte, dass er sich mir offenbart hatte, dass wir auf
irgendeine Weise zusammengehörten und ich die Aufgabe hatte, seine Geheimnisse
zu enthüllen.
    Als ich
eintraf,

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