Morton, Kate
lass ich Sie jetzt allein.«
Nachts ist
alles anders. Die Dinge verändern sich, wenn die Welt schwarz ist.
Ungewissheiten und Verletzungen, Sorgen und Ängste bekommen nachts Zähne. Vor
allem, wenn man in einem gespenstischen alten Schloss schläft und draußen ein
Gewitter tobt. Erst recht, wenn man den ganzen Nachmittag der Beichte einer
älteren Dame gelauscht hat. Und deshalb hatte ich auch so schnell nicht vor,
die Lampe zu löschen.
Ich zog
mir das Nachthemd über und setzte mich weiß und gespensterhaft aufs Bett.
Lauschte dem unaufhörlichen Klopfen des Regens und dem Wind, der an den
Fensterläden rüttelte, als wäre jemand draußen, der unbedingt hereinwollte.
Nein - ich schob diesen Gedanken beiseite, konnte mir sogar ein Lächeln
abringen. Natürlich dachte ich an den Modermann. Verständlich, da ich ja genau
an dem Ort übernachtete, wo der Roman spielte, in einer Nacht, die direkt dem
Buch entnommen zu sein schien ...
Ich kroch
unter die Decken und dachte über Percy nach. Ich nahm mein Notizheft und
schrieb alles auf, was mir einfiel. Percy Blythe hatte mir von den Ursprüngen
des Modermann erzählt, was an sich schon eine
Sensation war. Sie hatte außerdem das Rätsel um Thomas Cavills Verschwinden
aufgeklärt. Eigentlich hätte ich erleichtert sein können, war aber eher aufgewühlt.
Dieses Gefühl war ganz frisch, es hatte etwas mit dem zu tun, was Saffy mir
erzählt hatte. Als sie vom Testament ihres Vaters gesprochen hatte, hatten sich
beunruhigende Zusammenhänge ergeben, kleine Lämpchen, die aufleuchteten und
mir zunehmend Unbehagen bereiteten: Percys Liebe zum Schloss, ein Testament,
das seinen Verlust festschrieb, sollte Juniper heiraten, Thomas Cavills
bedauernswerter Tod ...
Aber nein.
Percy hatte gesagt, es sei ein Unfall gewesen, und ich glaubte ihr.
Ich
glaubte ihr wirklich. Aus welchem Grund hätte sie lügen sollen? Sie hätte die
ganze Sache einfach für sich behalten können.
Und
dennoch ...
Die
Gedankenfetzen kreisten in meinem Kopf: Percys Stimme, dann Saffys, und dazu
meine Zweifel. Aber nicht Junipers Stimme. Ich schien immer nur über sie etwas
zu hören, nie etwas von ihr. Schließlich klappte ich mein Notizheft frustriert
zu.
Das
reichte für einen Tag. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und blätterte in den
Büchern, die Saffy mir hingelegt hatte, suchte etwas, das meine Gedanken
halbwegs beruhigen konnte: Jane Eyre, Mysteries of Udolpho,
Sturmhöhe. Ich verzog das Gesicht - alles gute alte Bekannte,
allerdings nicht von der Sorte, die ich mir in so einer kalten, stürmischen
Nacht als Gefährten wünschte.
Obwohl ich
hundemüde war, wehrte ich mich gegen den Schlaf; ich konnte mich nicht
überwinden, die Lampe zu löschen und mich der Dunkelheit zu überlassen. Aber
irgendwann wurden meine Lider immer schwerer, und nachdem ich mich noch einige
Male wach gerüttelt hatte, war ich offenbar so müde, dass ich schnell
einschlafen würde. Ich löschte die Flamme und schloss die Augen, während der
Rauch sich in der kalten Luft auflöste. Das Letzte, woran ich mich erinnere,
ist der Regen, der gegen das Fenster schlug.
Irgendwann
in der Nacht fuhr ich aus dem Schlaf. Ich lag reglos da und lauschte. Fragte
mich, was mich geweckt haben mochte. Die Härchen auf meinen Armen standen
senkrecht, und mich beschlich das unheimliche Gefühl, dass ich nicht allein
war, dass noch jemand bei mir im Zimmer war. Mit pochendem Herzen starrte ich
in die Dunkelheit, vor Angst wie gelähmt vor dem, was ich entdecken könnte.
Ich sah
nichts, aber ich wusste es. Da war jemand.
Ich hielt
den Atem an und lauschte angestrengt, aber es regnete immer noch, und so wie
der Sturm heulte und an den Läden rüttelte und durch die Korridore fuhr, war
es unmöglich, irgendetwas anderes zu hören. Da ich keine Streichhölzer hatte,
konnte ich auch die Lampe nicht wieder anzünden, und so blieb mir nichts
anderes übrig, als mich irgendwie zu beruhigen. Ich redete mir ein, dass es
nur die Gedanken waren, die mich kurz vor dem Einschlafen beschäftigt hatten,
meine Besessenheit vom Modermann. Dass ich
das Geräusch nur geträumt hatte. Dass meine Fantasie mir einen Streich
spielte.
Als ich
mich gerade wieder etwas beruhigt hatte, erhellte ein gewaltiger Blitz die
Nacht, und da sah ich, dass die Tür meines Zimmers einen Spaltbreit offen
stand! Es war tatsächlich jemand bei mir im Zimmer gewesen, war vielleicht
sogar immer noch da und wartete im Dunkeln ...
»Meredith ...«
Mein
Weitere Kostenlose Bücher