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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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Ausgerechnet das Buch, das mich zur
Leserin gemacht hatte.
    Aber
irgendetwas anderes zu schreiben und die alten Geschichten über die
rätselhaften Ursprünge des Buchs noch einmal aufzuwärmen wäre unredlich
gewesen. Letztlich hatte Percy Blythe mich unter einem falschen Vorwand zu sich
bestellt. In Wirklichkeit sollte ich gar nicht das Vorwort schreiben, sondern
dafür sorgen, dass einige Daten in den offiziellen Akten korrigiert und
vervollständigt wurden. Und das hatte ich getan. Rawlins und seine Leute hatten
zwei Leichen gefunden, genau an den Stellen, die ich angegeben hatte. Theo
Cavill erfuhr endlich, was mit seinem Bruder Tom geschehen war: dass er in
einer stürmischen Nacht während des Kriegs auf Schloss Milderhurst ums Leben
gekommen war.
    Chief
Inspector Rawlins hätte gern weitere Einzelheiten von mir erfahren, aber ich
erklärte ihm, mehr wisse ich nicht. Letztlich stimmte das sogar: Mehr wusste
ich wirklich nicht. Percy hatte mir ihre Version erzählt, Juniper eine andere.
Ich glaubte, dass Percy die Schuld für ihre Schwester auf sich genommen hatte,
aber beweisen konnte ich es nicht. Und ich würde nichts preisgeben, so oder so.
Die Wahrheit war mit den drei Schwestern gestorben, und sollten die
Grundmauern des Schlosses immer noch von dem flüstern, was in jener Nacht im
Oktober 1941 geschehen
war, so konnte ich es wenigstens nicht hören. Ich wollte es auch nicht hören.
Nicht mehr. Es wurde Zeit, mein eigenes Leben wieder in die Hände zu nehmen.
     
    Teil fünf
     
    1
     
    Schloss Milderhurst, 29. Oktober 1941
      
    Die
Gewitterwolken, die sich am Nachmittag des 29. Oktober 1941 von der
Nordsee aus ihren Weg gebahnt hatte, rollten ächzend heran, verdichteten sich
und ballten sich schließlich über dem Turm von Schloss Milderhurst zusammen.
In der Abenddämmerung lösten sich die ersten Tropfen aus der dichten
Wolkendecke. Die ganze Nacht hindurch ergoss sich der Regen in Sturzbächen,
trommelte auf die Dachziegel, stürzte gurgelnd durch die Dachtraufen. Der Bach
trat über die Ufer, der dunkle Teich im Cardarker-Wald wurde noch finsterer,
und der weiche Erdstreifen um das Schloss herum, der ein bisschen tiefer lag
als das umgebende Land, verwandelte sich in Morast und ließ den Schlossgraben
erahnen, der sich einst hier befunden hatte. Aber die Zwillinge im Schloss
bekamen davon nichts mit; sie hörten nur, wie es nach stundenlangem,
sorgenvollen Warten endlich an der Schlosstür klopfte.
     
    Saffy war
zuerst dort, legte die Hand an den Türpfosten und steckte den Messingschlüssel
ins Schloss. Er ließ sich nur schwer drehen, wie immer, und während sie sich
damit abmühte, fiel ihr auf, dass ihre Hände zitterten, ihr Nagellack
abgeplatzt war und ihre Haut alt aussah; schließlich gehorchte der Mechanismus,
die Tür ging auf, und alle trüben Gedanken flogen in die dunkle, nasse Nacht
hinaus, denn vor ihr stand Juniper.
    »Mein
liebes Kind«, sagte Saffy, kurz davor, in Tränen auszubrechen beim Anblick
ihrer kleinen Schwester, die endlich wieder nach Hause zurückgekehrt war.
»Gott sei Dank! Du hast uns ja so gefehlt.«
    »Ich habe
meinen Schlüssel verloren«, sagte Juniper. »Verzeih mir.«
    Trotz des langen
Regenmantels und der fraulichen Frisur, die unter ihrer Mütze zu erkennen war,
wirkte Juniper im Zwielicht vor der Tür wie ein schutzloses Kind, und Saffy
konnte nicht umhin, das Gesicht ihrer Schwester in die Hände zu nehmen und ihr
einen Kuss auf die Stirn zu drücken, so wie sie es getan hatte, als Juniper
noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Du musst dich nicht entschuldigen«,
sagte sie. Sie warf einen Blick auf Percy, die mit düsterer Miene hinter ihr
aufgetaucht war. »Wir freuen uns so, dich zu Hause zu haben, dass du
wohlbehalten angekommen bist. Lass dich ansehen ...« Sie trat einen Schritt
zurück, ohne Junipers Hände loszulassen, und als sie keine Worte fand für ihr
Glück und ihre Erleichterung, nahm sie ihre kleine Schwester in die Arme. »Wir
haben uns solche Sorgen gemacht, als es immer später wurde ...«
    »Der Bus.
Wir wurden angehalten, es hat irgendeinen ... Zwischenfall gegeben.«
    »Einen
Zwischenfall?« Saffy löste die Umarmung.
    »Irgendetwas
mit dem Bus. Wahrscheinlich eine Straßensperre, ich weiß nicht ...« Sie
beendete den Satz nicht und zuckte lächelnd die Schultern, aber etwas wie
Verwirrung flackerte in ihrem Blick. Es ging sofort vorbei, aber es genügte.
Die unausgesprochenen Worte hallten so deutlich in der Eingangshalle

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