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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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im
Vordergrund verblasst wie zu einem stummen Einerlei, während der Himmel im
Hintergrund auf ewig dämmerte. Die Tapete an der Wand hinter dem Lurcher war
fast vollständig durchgescheuert.
    An einem
runden Tisch saß eine Frau im Alter von Percy, den Kopf tief über ein Blatt
Papier gebeugt, wie eine Insel in einem Meer aus Scrabblebuchstaben. Als sie
mich bemerkte, nahm sie ihre riesige Lesebrille ab, ließ sie in eine verborgene
Tasche ihres langen Seidenkleids gleiten und stand auf. Ihre Augen waren
graublau, die Brauen unauffällig. Ihre Fingernägel jedoch waren passend zum
Lippenstift und zum großen Blumenmuster auf ihrem Kleid rosafarben lackiert.
Zwar war sie anders gekleidet, schien jedoch ebenso wie Percy auf eine perfekte
äußere Erscheinung zu achten, die irgendwie altmodisch war, auch wenn die
Kleider selbst nicht alt zu sein schienen.
    »Das ist
meine Schwester Seraphina«, sagte Percy und trat zu ihr. »Saffy«, sagte sie mit
übertrieben lauter Stimme, »das ist Edith.«
    Saffy
tippte sich ans Ohr. »Du brauchst nicht so zu schreien, Percy, meine Liebe«,
erwiderte sie leise in einem singenden Tonfall, »mein Hörgerät ist
eingeschaltet.« Sie lächelte mich zurückhaltend an und blinzelte, weil ihr die
Brille fehlte, die sie aus lauter Eitelkeit abgenommen hatte. Sie war ebenso
groß wie ihre Zwillingsschwester, aber aufgrund einer optischen Täuschung, die
durch ihre Kleidung oder das Licht oder durch ihre Haltung verursacht wurde,
wirkte sie kleiner. »Alte Gewohnheiten ändern sich nicht«, sagte sie, »Percy
war immer die Bestimmende. Ich bin Saffy Blythe, und es ist mir wirklich ein
großes Vergnügen, Sie kennenzulernen.«
    Ich trat
auf sie zu und schüttelte ihr die Hand. Sie war das Abbild ihrer Schwester oder
war es zumindest früher einmal gewesen. Die vergangenen achtzig Jahre hatten
unterschiedliche Linien in die Gesichter der Schwestern gegraben, aber bei
Saffy war das Ergebnis irgendwie weicher, freundlicher. Sie sah genauso aus,
wie man sich eine alte Dame in einem Herrenhaus vorstellt, und sie war mir auf
Anhieb sympathisch. Percy flößte einem Respekt ein, aber bei Saffy musste ich
an Haferplätzchen und handgeschöpftes, mit Tinte beschriebenes Papier denken.
Erstaunlich, wie der Charakter die Menschen prägt, wenn sie älter werden,
indem er sich von innen seinen Weg sucht und seine Spuren hinterlässt.
    »Wir haben
einen Anruf von Mrs. Bird erhalten«, sagte Saffy. »Ich fürchte, sie ist im Dorf
aufgehalten worden.«
    »Oh.«
    »Sie hat
sich mächtig aufgeregt«, ergänzte Percy tonlos. »Aber ich habe ihr gesagt, dass
es mir ein Vergnügen sein würde, Sie herumzuführen.«
    »Mehr als
ein Vergnügen«, fügte Saffy lächelnd hinzu. »Meine Schwester liebt dieses Haus
wie andere Leute ihren Ehepartner. Sie freut sich über die Gelegenheit, damit
anzugeben. Und das zu Recht. Dieses alte Haus macht ihr alle Ehre: Allein ihrer
jahrelangen unermüdlichen Arbeit ist es zu verdanken, dass es immer noch in
einem guten Zustand ist.«
    »Ich habe
nur getan, was notwendig war, um zu verhindern, dass die Mauern um uns herum
einstürzen. Mehr nicht.«
    »Meine
Schwester neigt zur Bescheidenheit.« »Und meine zur Starrköpfigkeit.«
    Die
Frotzelei war offenbar Teil ihrer normalen Konversation. Sie hielten inne und
wandten sich mir lächelnd zu. Einen Augenblick lang war ich völlig
konsterniert, denn ich musste unwillkürlich an das Foto in Raymond Blythe in Milderhurst denken und fragte mich, welche
dieser beiden Damen welcher Zwilling gewesen sein mochte. Dann nahm Saffy
Percys Hand. »Meine Schwester kümmert sich schon ihr ganzes Leben lang um uns«,
sagte sie, und als sie ihre Zwillingsschwester voller Bewunderung anschaute,
wusste ich, dass sie das kleinere, zartere der beiden Mädchen auf dem Foto
gewesen war, das so unsicher in die Kamera lächelte.
    Dieses
zusätzliche Lob schien Percy gar nicht zu behagen. Sie nestelte an ihrem
Uhrenarmband herum und murmelte: »Lass es gut sein. Wer weiß, wie lange noch.«
    Es ist immer
schwierig zu wissen, was man sagen soll, wenn sehr alte Leute über den Tod und
sein nahes Bevorstehen sprechen, also tat ich, was ich jedes Mal tue, wenn
Herbert andeutet, ich könnte Billing & Brown »eines Tages« übernehmen: Ich
lächelte, als hätte ich etwas falsch verstanden, und betrachtete den
sonnendurchfluteten Erker.
    Und da
bemerkte ich die dritte Schwester; das musste Juniper sein. Sie saß stocksteif
in einem verschlissenen grünen

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