Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
Vom Netzwerk:
immer
mitschwangen, wenn wir glücklich waren: Wäre er doch
auch bei uns; und wenn ich sie enttäuschte: Er hätte das nicht getan; und wenn ein neues Schuljahr
begann: Da drüben, die Jungs, das wären seine
Klassenkameraden. Der entrückte Blick, der manchmal in den Augen
meiner Eltern lag, wenn sie sich allein wähnten.
    Ich
behaupte nicht, dass meine Neugier auf die Schwestern Blythe viel, wenn
überhaupt etwas, mit Daniel zu tun gehabt hätte. Jedenfalls nicht direkt. Aber
ihre Geschichte war so schön: Zwei ältere Schwestern entsagen ihrem eigenen
Leben, um sich ganz der Pflege ihrer jüngeren Schwester zu widmen. Ein gebrochenes
Herz, ein verwirrter Verstand, eine unerwiderte Liebe. All das führte dazu,
dass ich mich fragte, wie alles hätte sein können und ob Daniel jemand gewesen
wäre, für den ich mein Leben geopfert hätte. Sie gingen mir nicht mehr aus dem
Kopf, diese drei Schwestern, die derart miteinander verbunden waren. Sie wurden
gemeinsam älter und verbrachten ihren Lebensabend in ihrem alten
Familienstammsitz, die letzten Überlebenden einer angesehenen,
geheimnisumwobenen Familie.
     
    Vorsichtig
stieg ich höher und höher, vorbei an einer verwitterten Sonnenuhr, vorbei an
einer Reihe geduldiger Urnen auf stummen Sockeln, vorbei an zwei steinernen
Hirschen, die sich über ungepflegte Hecken hinweg in die Augen sahen, bis ich
die letzte Stufe erreichte und der Boden sich vor mir ebnete. Knorrige
Obstbäume mit ineinander verflochtenen Kronen bildeten einen Laubengang, der
mich vorwärtszog. Es war, als läge dem Garten ein geheimer Plan zugrunde,
dachte ich; als gäbe es eine für mich bestimmte Ordnung, die auf mich wartete
und nicht zuließ, dass ich mich verirrte, sondern vorsah, dass ich den Weg zum
Schloss fand.
    Romantische
Flausen, natürlich, was sonst. Ich kann nur vermuten, dass der steile Anstieg
mich schwindlig gemacht und mir die Sinne vernebelt hatte. Wie auch immer, es
hatte mich gepackt. Ich kam mir verwegen vor (wenn auch verschwitzt), eine
Abenteurerin, die Raum und Zeit überwand, um ungeahnte Entdeckungen zu machen.
Nun ja. Es spielte keine Rolle, dass diese spezielle Mission nur dem Besuch bei
drei alten Damen und einer Führung durch ein Landgut galt; vielleicht hatte
ich ja Glück und man bot mir eine Tasse Tee an.
    Dieser
Teil des Gartens war ebenso verwildert wie die Lichtung um den Badeteich, und
als ich unter den Baumkronen entlangging, die sich wie zu einem Tunneldach
bogen, kam ich mir vor wie im Skelett eines prähistorischen Monsters. Riesige
Rippen wölbten sich über mir, während lange Schatten die Illusion erzeugten,
als würden sie sich auch unter mir krümmen. Ich beeilte mich, das Ende des Tunnels
zu erreichen. Dort angekommen, blieb ich wie angewurzelt stehen.
    Vor mir,
in düstere Schatten getaucht, obwohl es ein warmer Tag war, stand Schloss
Milderhurst. Allerdings war ich auf der Rückseite des Gebäudes gelandet, wie
ich stirnrunzelnd feststellte, als ich die Nebengebäude und die außen liegenden
Wasserrohre sah und nirgendwo Säulen, einen Rasen oder eine Auffahrt entdeckte.
    Und dann
plötzlich dämmerte es mir. Ich musste eine Abzweigung verpasst haben und war
den Hügel auf der Nordseite hinaufgewandert, anstatt mich dem Schloss von
Süden her zu nähern.
    Ende gut,
alles gut: Ich war heil angekommen und bestimmt nicht allzu spät dran.
Irgendwann war mir ein ebener Streifen mit hohem Gras aufgefallen, der sich am
ummauerten Schlossgarten entlangzog. Diesem folgte ich, bis ich schließlich - Tusch!
- über Mrs. Birds Säulen stolperte. Und am Ende der Rasenfläche erhob sich, wie
es sich gehörte, die Fassade von Schloss Milderhurst bis hoch in den Himmel.
     
    Das Gefühl, eine Zeitreise
angetreten zu haben, das mich beim Aufstieg befallen hatte, verstärkte sich nur
noch. Das Gebäude strahlte eine theatralische Würde aus und nahm meine Anwesenheit
überhaupt nicht zur Kenntnis. Die Schiebefenster schauten gelangweilt durch
mich hindurch Richtung Ärmelkanal, und ihr Ausdruck träger Beständigkeit
verstärkte mein Gefühl, unbedeutend und vergänglich zu sein und dass das großartige
alte Bauwerk schon zu viel erlebt hatte, um sich von mir in seiner Ruhe stören
zu lassen.
    Ein Schwarm
Stare stob von den Schornsteinen auf, ließ sich in den Himmel tragen und kurvte
dann hinunter ins Tal, wo Mrs. Birds Haus stand. Das Geräusch und die
plötzliche Bewegung verwirrten mich.
    Ich sah
den Vögeln nach, als sie über die Baumwipfel glitten und

Weitere Kostenlose Bücher