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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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und
vor lauter Aufregung über eine verborgene Tür in der Rückwand eines Schranks
nahm ich ihn gar nicht mehr wahr. »Durch diese Tür können also die Hausgeister
herein- und wieder hinausgelangen.« Ich hörte das Echo meiner eigenen Stimme.
    »Die
Hausgeister, ja«, sagte Percy sarkastisch. »Die Mäuse hingegen haben leider
keine Tür nötig. Die kleinen Biester machen längst, was sie wollen.«
    Ich
kletterte wieder aus dem Schrank, und als ich mir den Staub von den Kleidern
klopfte, fiel mein Blick auf das gerahmte Bild an der gegenüberliegenden Wand.
Eigentlich kein Bild, sondern ein Text, etwas Religiöses, wie ich beim
Nähertreten feststellte. Beim Betreten der Kammer war es mir nicht aufgefallen,
weil es sich hinter mir befunden hatte. »Was war das für ein Zimmer?«
    »Hier hat
unsere Kinderfrau gewohnt. Als wir noch sehr klein waren«, sagte Percy. »Damals
war es für uns der schönste Ort auf der Welt.« Ein Lächeln deutete sich an, um
gleich darauf wieder zu verschwinden. »Es ist wirklich nicht viel mehr als ein
Abstellraum, nicht wahr?«
    »Ein
Abstellraum mit einer herrlichen Aussicht.« Ich ging zum Fenster. Hier waren
die Vorhänge nicht entfernt worden.
    Als ich
sie beiseite zog, fiel mir die große Anzahl von schweren Vorhängeschlössern
auf, mit denen das Fenster gesichert war. Offenbar stand mir meine Verwunderung
ins Gesicht geschrieben, denn Percy sagte: »Mein Vater war immer sehr um
unsere Sicherheit besorgt. In seiner Jugend gab es einen Vorfall, den er nie
verwunden hat.«
    Ich nickte
und schaute aus dem Fenster; der Anblick kam mir atemberaubend vertraut vor.
Aber nicht, weil ich das alles schon einmal gesehen hätte, sondern weil ich
darüber gelesen und es mir vorgestellt hatte. Direkt unter mir entlang der
Grundmauern lag ein etwa sechs Meter breiter Streifen mit üppig wachsendem
Gras, dessen Grün sich von der Umgebung deutlich abhob. »Da war früher mal ein
Wassergraben«, sagte ich.
    »Ja.«
Percy war neben mich getreten und hielt den Vorhang beiseite. »Eine meiner
frühesten Kindheitserinnerungen ist, wie ich einmal nicht einschlafen konnte,
weil ich dort unten Stimmen hörte. Es war Vollmond, und als ich auf die
Fensterbank geklettert bin, habe ich unsere Mutter gesehen, die im silbrigen
Mondlicht auf dem Rücken schwamm und vergnügt lachte.«
    »Sie war
eine begeisterte Schwimmerin«, sagte ich, weil ich mich daran erinnerte, was ich
in Raymond Blythe in Milderhurst gelesen
hatte.
    Percy
nickte knapp. »Den runden Badeteich hat mein Vater als Hochzeitsgeschenk für
sie anlegen lassen, aber sie zog den Schlossgraben vor, und so wurde jemand
beauftragt, ihn herzurichten. Nach ihrem Tod hat mein Vater den Graben
auffüllen lassen.«
    »Er hat
ihn sicherlich zu sehr an sie erinnert.«
    »Ja.« Ihre
Lippen zuckten, und mir wurde bewusst, dass meine Kommentare zu ihrer
Familientragödie ziemlich taktlos waren. Um das Thema zu wechseln, zeigte ich
auf einen Mauervorsprung, der in den Graben hineinragte. »Was für ein Zimmer
ist das?«, fragte ich. »Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Balkon
gesehen zu haben.«
    »Das ist
die Bibliothek.«
    »Und da
hinten. Was ist das für ein ummauerter Garten?« »Das ist kein Garten.« Sie ließ
den Vorhang wieder zufallen. »Wir sollten unseren Rundgang fortsetzen.«
    Ihr
Tonfall und ihre Bewegungen waren plötzlich steif. Ich musste sie irgendwie
verstimmt haben, hatte jedoch keine Ahnung, womit. Hastig ließ ich unser Gespräch
Revue passieren und kam zu dem Schluss, dass es wahrscheinlich bloß die alten
Erinnerungen waren, die ihr zu schaffen machten. Leise sagte ich: »Es muss
unglaublich sein, in einem Schloss zu wohnen, das schon so lange im
Familienbesitz ist.«
    »Ja«, erwiderte
sie. »Es war nicht immer einfach und hat uns Opfer abverlangt. Wir waren
gezwungen, große Teile des Grundstücks zu verkaufen, erst kürzlich den
Bauernhof, aber es ist uns gelungen, das Schloss zu behalten.« Demonstrativ
inspizierte sie den Fensterrahmen und drückte ein Stückchen abblätternde
Farbe an. Als sie weitersprach, rang sie ganz offensichtlich mit der Fassung.
»Es stimmt, was meine Schwester sagt. Ich liebe dieses Haus, wie andere einen
Menschen lieben. Das war schon immer so.« Ein kurzer Blick von der Seite. »Das
kommt Ihnen sicher sonderbar vor.«
    Ich
schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht.«
    Sie zog
zweifelnd die Brauen hoch; aber ich meinte es ernst. Ich fand es absolut nicht
sonderbar. Meinem Vater hat es das

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