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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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wasserdicht. Die Wände
und der Boden sind mit Kupfer ausgeschlagen, die Tür ist aus Blei gefertigt.
Da kommt nichts rein und nichts raus.«
    »Das
Archiv«, wiederholte ich erschaudernd, »genau wie im Modermann.« Der besondere Raum, tief unten im Haus des Onkels,
der Raum, in dem alle Dokumente der Familie aufbewahrt werden, wo er das
verschimmelte alte Tagebuch entdeckt, in dem die Vergangenheit des Modermanns
enträtselt wird. Der Raum der Geheimnisse im Herzen des Hauses.
    Percy
blieb stehen, stützte sich auf ihren Stock und musterte mich. »Sie haben es
also gelesen.«
    Es war
eigentlich keine Frage, dennoch antwortete ich. »Als Kind habe ich es
verschlungen.« Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, spürte ich wieder diese
alte Unfähigkeit, meiner Liebe zu dem Buch angemessen Ausdruck zu verleihen.
»Es war mein Lieblingsbuch«, fügte ich hinzu, und der Satz schwebte hoffnungsfroh
in der Luft, bis er zerstäubte wie Puder von einer Puderquaste.
    »Es war
sehr populär zu seiner Zeit«, sagte Percy und ging weiter den Flur hinunter.
Zweifellos hatte sie das alles schon gehört. »Und das ist es immer noch. Im
nächsten Jahr ist es fünfundsiebzig Jahre her, dass es zum ersten Mal
erschien.«
    »Wirklich?«
    »Fünfundsiebzig
Jahre«, sagte sie noch einmal, öffnete eine Tür und lotste mich in ein weiteres
Treppenhaus. »Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen.«
    »Es muss
sehr aufregend gewesen sein, als das Buch herauskam.«
    »Wir haben
uns gefreut, dass unser Vater so glücklich war.«
    Habe ich
damals schon das winzige Zögern bemerkt, oder färben Dinge, die ich später
erfahren habe, meinen ersten Eindruck? Irgendwo schlug eine Uhr müde die Stunde,
und ich stellte mit Bedauern fest, dass meine Zeit um war. Es schien mir
unmöglich, ich hätte Stein und Bein geschworen, dass ich gerade erst angekommen
war, aber Zeit ist ein seltsam flüchtiges Phänomen. Die Stunde zwischen dem
Frühstück und meinem Aufbruch nach Milderhurst war mir wie eine Ewigkeit
vorgekommen, aber die sechzig Minuten, die mir in den Mauern des Schlosses
zugestanden wurden, waren wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel davongeflogen.
    Percy
Blythe warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Ich habe die Zeit vergessen«,
sagte sie leicht überrascht. »Tut mir leid. Die Standuhr geht zehn Minuten vor,
aber wir müssen uns beeilen. Mrs. Bird wird Sie pünktlich zur Stunde hier abholen,
und bis zur Eingangshalle haben wir noch ein Stück Weg vor uns. Ich fürchte,
uns bleibt keine Zeit mehr, den Turm zu besichtigen.«
    Ich stieß
einen Laut aus, als hätte mich etwas gestochen, doch ich gewann schnell meine
Fassung wieder: »Mrs. Bird findet es bestimmt nicht so schlimm, wenn ich ein
bisschen später komme.«
    »Ich
dachte, Sie müssten zurück nach London?«
    »Ja«,
erwiderte ich. Unvorstellbar, aber ich hatte es tatsächlich vergessen:
Herbert, seinen Wagen und seine Verabredung in Windsor. »Ja, das stimmt.«
    »Machen
Sie sich nichts draus«, sagte Percy Blythe und eilte ihrem Stock hinterher.
»Sie werden den Turm beim nächsten Mal zu sehen bekommen. Wenn Sie uns wieder
besuchen.« Sie schien es als selbstverständlich zu betrachten, aber ich fragte
nicht nach, zumindest nicht in diesem Moment. Tatsächlich maß ich ihren Worten
keine sonderliche Bedeutung bei, denn als wir aus dem Treppenhaus traten, wurde
ich von einem raschelnden Geräusch abgelenkt.
    Das
Rascheln war ebenso leise wie die Hausgeister, und ich fragte mich schon, ob
ich es mir nur eingebildet hatte, nach all dem Gerede von fernen Stunden und
Menschen, die in dem Gemäuer gefangen waren, aber als Percy Blythe sich
ebenfalls suchend umsah, wusste ich, dass ich richtig gehört hatte.
    Kurz vor
uns, wo ein anderer Flur abging, kam der Lurcher um die Ecke getrottet.
»Bruno«, sagte Percy überrascht, »was machst du denn hier unten, alter Junge?«
    Der Hund
blieb vor mir stehen und schaute mich an, die schweren Lider halb geschlossen.
    Percy
bückte sich, um ihn hinter den Ohren zu kraulen. »Wissen Sie, was das Wort >Lurcher<
bedeutet? Es kommt aus dem Romani und bedeutet Dieb. Nicht wahr, mein Junge?
Ein schrecklicher Name für so einen braven Hund wie dich.« Eine Hand in den
Rücken gestützt, richtete sie sich mühsam wieder auf. »Sie wurden ursprünglich
von Zigeunern gezüchtet und von Wilderern benutzt: für die Jagd auf Kaninchen
und Hasen und anderes Kleintier. Die Zucht reinrassiger Hunde war dem Adel
vorbehalten, Verstöße wurden hart

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