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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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schief. Silbrig schimmerndes Haar fiel ihr auf die
Schultern, lang und ungekämmt; die vorderen Strähnen waren ziemlich aufs
Geratewohl mit zwei barocken Haarkämmen zurückgesteckt. Die überraschend durchscheinende
Haut, ihre spindeldürre Figur und das elegante Kleid ließen sie auf den ersten
Blick aussehen wie ein junges Mädchen, das nicht so recht weiß, was es mit
seinen langen, dünnen Gliedmaßen anfangen soll. Aber anders als ein unsicheres
junges Mädchen wirkte sie nicht schüchtern, ganz und gar nicht: Ihr Blick war
fragend, neugierig, als sie einen kleinen Schritt näher kam und in einen
Streifen Sonnenlicht trat.
    Und dann
war die Neugier auf meiner Seite, denn obwohl Juniper mindestens siebzig Jahre
alt sein musste, war ihr Gesicht wundersam faltenfrei. Das kann natürlich gar
nicht sein, siebzigjährige Damen haben kein faltenfreies Gesicht, und sie war
keine Ausnahme - als ich ihr später wiederbegegnete, sah ich es selbst -, aber
in dem Licht, dem Kleid, durch eine optische Täuschung, einen sonderbaren
Zauber erschien sie so. Blass und ebenmäßig, schimmernd wie das Innere einer
Perlenmuschel, als wären die vergangenen Jahre so sehr damit beschäftigt
gewesen, ihre Schwestern zu zeichnen, dass sie übersehen worden war. Und doch
wirkte sie nicht zeitlos; sie hatte etwas an sich, das unverkennbar aus alten
Zeiten stammte und dort verhaftet war. Wie ein altes Foto, das man durch ein
schützendes Blatt Seidenpapier betrachtet, wie man es in diesen Alben mit den
sepiagetönten Seiten findet. Wieder musste ich an die gepressten
Frühlingsblumen denken, die viktorianische Damen in ihre Poesiealben zu legen
pflegten. Hübsche Blüten, auf liebevolle Weise getötet, in eine andere Zeit und
an einen anderen Ort, in eine andere Jahreszeit befördert, die nicht mehr die
ihre ist.
    Dann
begann die Schimäre zu sprechen, und der Bann war gebrochen. »Ich gehe jetzt
zum Abendessen.« Eine hohe, ätherische Stimme, bei deren Klang sich mir die
Nackenhaare aufrichteten. »Kommst du mit?«
     
    Ich
schüttelte den Kopf und räusperte mich gegen das Kratzen im Hals. »Nein. Nein
danke. Ich muss bald nach Hause.« Meine Stimme erschien mir selbst fremd, und
mir fiel auf, dass ich stocksteif dastand, als hätte ich Angst. Was vermutlich
sogar der Fall war, auch wenn ich nicht wusste, wovor.
    Juniper
schien mein Unbehagen nicht zu bemerken. »Ich habe ein neues Kleid«, sagte sie
und zupfte an ihrem Rock, sodass die obere Lage Organza sich an beiden Seiten
hob wie Mottenflügel, weiß und pudrig. »Nein, nicht ganz neu, das stimmt nicht,
aber geändert. Es hat früher meiner Mutter gehört.«
    »Es ist
schön.«
    »Ich
glaube nicht, dass du sie gekannt hast.« »Ihre Mutter? Nein.«
    »Sie war
hübsch, so hübsch. Noch ein junges Mädchen, als sie starb, ein junges Mädchen.
Das war ihr bestes Kleid.« Kokett drehte sie sich hin und her, die Lider scheu
niedergeschlagen. Der glasige Blick war verschwunden, jetzt schaute sie mich
mit wachen blauen Augen an, irgendwie wissend, derselbe Blick wie auf dem Foto
von ihr als kleines aufgewecktes Mädchen, wo sie in die Kamera schaut, als
hätte man sie aus ihren Gedanken gerissen. »Gefällt es dir?«
    »Ja.
Sehr.«
    »Saffy hat
es für mich geändert. Sie vollbringt Wunder mit der Nähmaschine. Wenn man ihr
ein Bild von einem Kleid zeigt, das einem gefällt, kriegt sie heraus, wie es
gemacht ist, selbst bei den neuesten Modellen aus Paris, auf Bildern in der Vogue. Sie arbeitet schon seit Wochen an meinem Kleid, aber es
ist ein Geheimnis. Percy würde das gar nicht gefallen, weil Krieg ist und weil
sie eben so ist, wie sie ist. Aber ich weiß, dass du nicht petzt.« Dann
lächelte sie so hintergründig, dass ich den Atem anhielt.
      »Ich sage kein Wort.«
    Einen
Moment lang musterten wir einander. Meine Angst war verflogen, darüber war ich
froh. Die Reaktion war völlig unbegründet gewesen, rein instinktiv, und sie war
mir peinlich. Was hatte ich denn zu befürchten? Diese verwirrte Frau in dem
einsamen Flur war Juniper Blythe, die Frau, die vor langer Zeit meine Mutter
aus einem Haufen verängstigter Kinder ausgesucht und ihr ein Zuhause gegeben
hatte, als Bomben auf London fielen, eine Frau, die nie aufgehört hatte zu
warten und zu hoffen, dass ihr Liebster endlich kam.
    Sie hob
das Kinn, während ich sie anschaute, und atmete nachdenklich aus. Offenbar
hatte sie sich ebenfalls ihre Gedanken gemacht. Ich lächelte, woraufhin sie
eine Entscheidung zu treffen

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