Morton, Kate
gemeinhin angenommen und sehr
gesellig, das Adelsgeschlecht unter den Nagern.
Nachdem
Saffy einen halbwegs begehbaren Pfad zum Fenster ausgemacht hatte - eine
Hinterlassenschaft von ihrer letzten Expedition —, durchquerte sie eilig das
Chaos. Gott, wenn ihre Kinderfrau das Zimmer sehen könnte! Längst vergessen
waren die sauberen, ordentlichen Zeiten ihrer Herrschaft, die unter ihrer
Aufsicht gelöffelte Milchsuppe am Abend, der kleine Handfeger, der nach dem
Essen hervorgeholt wurde, um alle Krümel aufzufegen, die beiden kleinen
Schreibtische an der Wand, der Duft nach Bienenwachs und Seife. Nein, diese
Epoche war lange vorbei, und an ihrer Stelle war, so schien es Saffy, die Anarchie
eingezogen. Papier, überall Papier, vollgekritzelt mit seltsamen Anweisungen,
Zeichnungen und Fragen, die Juniper sich notiert hatte, entlang den Fußleisten
hatten sich Staubflocken aufgereiht wie Anstandsdamen bei einem
Debütantinnenball. Alles Mögliche hing an den Wänden: Fotos von Menschen und
Orten und eigenartige Wortgebilde, die aus unerfindlichen Gründen Junipers
Fantasie anregten; und der Fußboden war ein Meer aus Büchern, Kleidungsstücken,
benutzten Tassen, behelfsmäßigen Aschenbechern, Lieblingspuppen mit beweglichen
Augen, alten Busfahrscheinen mit an den Rand gekritzelten Notizen. Das Ganze
machte Saffy benommen und drehte ihr den Magen um. War das etwa ein Brotkanten
da unter der Flickendecke? Wenn ja, war er inzwischen versteinert und museumsreif.
Hinter
Juniper her aufzuräumen war eine schlechte Angewohnheit, die Saffy schon vor
langer Zeit erfolgreich bekämpft hatte, aber diesmal konnte sie dem Impuls
einfach nicht widerstehen. Unordnung war eine Sache, Essensreste eine andere.
Angewidert wickelte sie den Brotkanten mit allen Krümeln in die Steppdecke,
eilte ans nächste Fenster, schüttelte die Decke aus und wartete, bis sie hörte,
wie das steinharte Brot dumpf im Gras landete. Mit einem Schaudern schüttelte
sie die Decke abermals aus, schloss das Fenster und zog den Verdunkelungsvorhang
zu.
Die
schmuddelige Decke musste gewaschen und geflickt werden, aber das konnte
warten. Fürs Erste würde Saffy sich damit begnügen, sie wenigstens ordentlich
zusammenzufalten. Natürlich nicht allzu ordentlich - obwohl Juniper das sowieso
nicht merken und sich noch weniger darum scheren würde -, aber so, dass ihr
wieder ein bisschen Würde zuteilwurde. Die Decke, dachte Saffy, während sie die
Enden auf Armeslänge hielt, hatte etwas Besseres verdient, als vier Monate lang
auf dem Boden als Leichentuch für ein verschimmelndes Stück Brot zu dienen. Sie
war ein Geschenk gewesen, eine der Bauersfrauen auf dem Anwesen hatte sie vor
Jahren für Juniper genäht, einer der typischen unerbetenen Liebesdienste, die
ihr ständig entgegengebracht wurden. Die meisten Menschen wären gerührt von
einer solchen Geste und würden ein so kostbares Geschenk in Ehren halten, nicht
so Juniper. Sie maß den Werken anderer nicht mehr Wert bei als ihren eigenen.
Das, dachte Saffy seufzend, während sie all das Papier betrachtete, das den
Boden wie ein Laubteppich bedeckte, war einer der Charakterzüge ihrer kleinen
Schwester, den sie am wenigsten verstand.
Sie sah
sich nach einer Stelle um, wo sie die gefaltete Steppdecke ablegen konnte, und
entschied sich für einen Stuhl. Ein aufgeschlagenes Buch lag oben auf einem
Bücherstapel, und Saffy, eine unermüdliche Leserin, klappte es zu, um zu sehen,
um was es sich handelte. Old Possums
Katzenbuch, in das T. S. Eliot eine Widmung für Juniper geschrieben
hatte, als er einmal zu Besuch da gewesen war und der Vater ihm ein paar von
Junipers Gedichten gezeigt hatte. Saffy wusste nicht so recht, was sie von
Thomas Eliot halten sollte; natürlich bewunderte sie ihn als Schriftsteller,
aber in seiner Seele schlummerte ein Pessimismus, seine Anschauungen waren so
düster, dass ihr mehr als früher die bedrückende Seite seiner Gedichte auffiel.
Nicht so sehr in den Katzenversen, die ja noch recht launig waren, aber in
seinen anderen Gedichten. Seine Obsession für tickende Uhren und die
Vergänglichkeit war das beste Rezept, um schwermütig zu werden, so schien es
Saffy, und darauf konnte sie gut und gern verzichten.
Wie
Juniper darüber dachte, war nicht ganz eindeutig, und das wunderte Saffy nicht.
Wenn Juniper eine Romanfigur wäre, dachte Saffy oft, ließe sie sich eigentlich
nur anhand der Reaktionen der anderen Figuren auf sie beschreiben, wobei natürlich
die Gefahr bestand,
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