Morton, Kate
anderes
übrig, als den Umschlag aufzureißen.
Weil ihr
das jedoch widerstrebte, ging sie mit äußerster Vorsicht zu Werke und genoss beinahe
die quälende Verzögerung, die das mit sich brachte. Sie zog den gefalteten
Bogen heraus - sehr feines Papier, stellte sie fest, aus Baumwollfaser,
geprägt, cremeweiß -, dann holte sie tief Luft und strich ihn glatt. Hastig
überflog sie das Schreiben, dann ging sie noch einmal an den Anfang zurück und
zwang sich, es langsam zu lesen, zu glauben, was sie sah, während eine große,
glückselige Leichtigkeit sie erfasste, die sie bis in die Fingerspitzen
spürte.
Sie hatte
die Anzeige in der Times entdeckt,
als sie nach Vermietungsanzeigen gesucht hatte. Weibliche Begleitperson und Gouvernante gesucht, die für die Dauer des
Kriegs mit Lady Dartington und ihren drei Kindern nach Amerika gehen will, hatte da
gestanden; gebildet, unverheiratet, kultiviert, erfahren
im Umgang mit Kindern. Es war, als hätte derjenige, der
den Text aufgesetzt hatte, Saffy im Sinn gehabt. Zwar hatte sie keine eigenen
Kinder, aber das lag keinesfalls daran, dass sie sich keine gewünscht hätte. Es
hatte eine Zeit gegeben, in der sich all ihre Zukunftsträume - wahrscheinlich
wie die jeder jungen Frau - um Kinder gedreht hatten. Aber ohne Ehemann war da
nun mal nichts zu machen, und das war der Haken an der Sache. Was die anderen
Kriterien anging, so war Saffy der Meinung, dass sie in aller Bescheidenheit
behaupten konnte, kultiviert und gebildet zu sein. Sie hatte auf der Stelle ein
Bewerbungsschreiben aufgesetzt, in dem sie sich vorgestellt, zwei hervorragende
Empfehlungsschreiben beigelegt und einen Brief formuliert hatte, der Seraphina
Blythe als die ideale Kandidatin auswies. Und dann hatte sie gewartet und
versucht, so gut es ging, ihre Träume von New York für sich zu behalten. Da sie
schon lange wusste, dass es zu nichts führte, Percy unnötig zu reizen, hatte
sie ihrer Zwillingsschwester gegenüber nichts von der Stellenanzeige erwähnt
und sich insgeheim in lebhaften Farben alle Möglichkeiten ausgemalt. Sie hatte
sich die Überfahrt bis ins kleinste Detail vorgestellt und sich in die Rolle
einer zweiten Molly Brown hineinversetzt, die die Dartington-Kinder bei Laune
hielt, während sie auf dem Weg zu dem großen amerikanischen Hafen den U-Booten
trotzten ...
Es Percy
zu sagen würde das Schwerste sein. Was aus ihr werden würde, wenn sie allein
die Flure durchquerte, die Wände reparierte und Holz hackte und darüber das
Baden, Waschen oder Backen vergaß, war nicht auszudenken. Dieser Brief jedoch,
dieses Stellenangebot, das Saffy in Händen hielt, war ihre Chance, und sie
würde sich nicht von sentimentalen Gefühlen davon abhalten lassen, sie beim
Schopf zu ergreifen. Wie ihre Heldin Adele in ihrem Roman würde sie »das Leben
bei den Hörnern packen und es zwingen, ihr in die Augen zu sehen«. Auf diese
Formulierung war Saffy besonders stolz.
Als sie
leise die Tür des Anrichtezimmers wieder hinter sich schloss, fiel ihr sofort
auf, dass der Ofen dampfte. In all der Aufregung hatte sie die Pastete
vergessen! Um Gottes willen. Sie würde von Glück reden können, wenn der Teig
nicht schwarz verkohlt war.
Sie
streifte sich die Ofenhandschuhe über, lugte in den Backofen und atmete
erleichtert auf, als sie sah, dass die Oberseite der Pastete zwar golden, aber
noch nicht dunkelbraun war. Sie schob die Pastete in den unteren, weniger
heißen Ofen, wo sie nicht verbrennen konnte, und richtete sich auf.
In diesem
Moment fiel ihr Blick auf Percys verschmutzte Uniformhose, die neben ihrem
Trägerrock auf dem Küchentisch lag. Percy musste die Hose dort abgelegt haben,
während Saffy im Anrichtezimmer gewesen war. Was für ein Glück, dass Percy sie
nicht dabei erwischt hatte, wie sie den Brief las.
Saffy
schüttelte die Hose aus. Der Montag war ihr offizieller Waschtag, aber es
konnte nichts schaden, die Sachen eine Weile einzuweichen, vor allem Percys
Uniformhose; die Anzahl der unterschiedlichen Flecken, die sich darauf
angesammelt hatten, hätte man als eindrucksvoll bezeichnen können, wenn es
nicht so schwierig gewesen wäre, sie zu entfernen. Aber Saffy liebte die
Herausforderung. Eine nach der anderen ging sie die Hosentaschen durch auf der
Suche nach vergessenem Krimskrams, der ihr nur das Waschwasser verderben würde.
Und das war ein Glück.
Saffy
fischte die Papierschnipsel heraus - Gott, was für eine Menge! - und legte sie
neben sich auf die Küchenbank. Müde
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