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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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hat
versprochen, es zu lesen, wenn es fertig ist.«
    Ihre
Lippen formten ein sarkastisches »Oh«, ehe sie ein paar positive Bemerkungen
von sich gab, die schließlich untergingen, als sie einen Schluck Kaffee trank,
das Gesicht angesichts des bitteren Geschmacks verzog und zum Glück das Thema
wechselte. »Und eure Wohnung? Dein Vater möchte wissen, ob der Wasserhahn in
der Küche immer noch tropft. Er meint, er weiß jetzt, wie er das Problem
endgültig beheben kann.«
    Ich
stellte mir die kalte, leere Wohnung vor, die ich an dem Morgen endgültig
verlassen hatte, an die phantomhaften Erinnerungen in den braunen
Umzugskartons, die jetzt mein Leben enthielten und auf Herberts Dachboden
verstaut waren. »Alles in Ordnung«, sagte ich. »Die Wohnung, der Wasserhahn,
alles perfekt. Sag ihm, er soll sich keine Gedanken mehr darum machen.«
    »Es gibt
wohl nicht irgendetwas anderes, das reparaturbedürftig ist?« Ein kaum
wahrnehmbarer, flehender Unterton hatte sich in ihre Stimme geschlichen. »Ich
hatte gedacht, ich könnte ihn am Samstag vorbeischicken, um ein bisschen nach
dem Rechten zu sehen.«
    »Ich habe
dir doch gesagt, es ist alles in Ordnung.«
    Sie wirkte
überrascht und verletzt, und mir war klar, dass ich zu schroff gewesen war, aber
diese fürchterlichen Gespräche, bei denen ich vorgab, alles sei in Butter,
machten mich mürbe. Auch wenn ich mich gern in Romane vertiefe, bin ich keine
Lügnerin, Täuschungsmanöver liegen mir nicht. Unter normalen Umständen wäre
das vielleicht der ideale Moment gewesen, ihr von unserer Trennung zu erzählen
- aber ich brachte es einfach nicht fertig, nicht an dem Tag, an dem ich mit
ihr über Milderhurst und Juniper Blythe sprechen wollte. Jedenfalls drehte sich
ausgerechnet in dem Moment der Mann am Nebentisch um und fragte, ob er unseren
Salzstreuer benutzen könne. Als ich ihm den Salzstreuer reichte, sagte meine
Mutter:
    »Ich habe
etwas für dich.«
    Sie zog
eine alte M&S-Tüte aus ihrer Tasche, die sie einmal umgeschlagen hatte, um
das zu schützen, was sie enthielt.
    »Freu dich
nicht zu früh«, fügte sie hinzu, als sie mir die Tüte gab. »Es ist nichts
Neues.«
    Ich
öffnete sie, nahm den Inhalt heraus und betrachtete ihn verdutzt. Es passiert
häufig, dass Leute mir etwas geben, von dem sie annehmen, dass es sich zur
Veröffentlichung eignet, aber ich konnte nicht glauben, dass jemand so
danebengreifen konnte.
    »Kennst du
das nicht mehr?« Meine Mutter schaute mich an, als hätte ich meinen eigenen Namen
vergessen.
    Noch
einmal betrachtete ich die zusammengetackerten Blätter, die Kinderzeichnung
vorne drauf, die unbeholfenen Buchstaben darüber: »Das Buch von den nassen Tieren«, geschrieben und gezeichnet von Edith
Burchill. Über dem Wort »Tieren« war mithilfe eines Pfeils das Wort
»Zauber« in einer anderen Farbe eingefügt worden.
    Meine
Mutter sagte: »Das hast du geschrieben. Erinnerst du dich nicht mehr?«
    »Doch«,
log ich. Etwas im Gesicht meiner Mutter sagte mir, dass es ihr wichtig war,
dass ich mich erinnerte, und außerdem - ich fuhr mit dem Finger über einen
Klecks, wo der Stift zu lange auf dem Papier gezögert hatte — wollte ich mich
erinnern.
    »Du warst
so stolz darauf.« Sie neigte den Kopf, um die kleine Geschichte in meinen
Händen zu betrachten. »Du hast tagelang im Gästezimmer unter der
Frisierkommode gehockt und daran gearbeitet.«
    Das kam mir vertraut vor. Eine köstliche Erinnerung daran, wie
ich in dieser warmen, dunklen Höhle hockte, tauchte aus den Tiefen meines
Gedächtnisses auf, und ein Kribbeln ging durch meinen ganzen Körper: der
Staubgeruch des runden Teppichs, der Spalt im Putz, der gerade breit genug war,
um dort einen Stift aufzubewahren, die harten hölzernen Dielen unter meinen
Knien, während ich zusah, wie das Sonnenlicht über den Boden kroch.
    »Du hast
ständig an irgendeiner Geschichte gesessen, pausenlos im Dunkeln die Seiten
vollgeschrieben. Dein Vater hat sich schon Sorgen gemacht, du würdest mal eine
ganz Schüchterne werden und nie Freunde finden, aber du warst einfach nicht zu
bremsen.«
    Ich konnte
mich daran erinnern, dass ich viel gelesen hatte, aber ich erinnerte mich nicht
daran, geschrieben zu haben. Als meine Mutter jedoch sagte, ich sei nicht zu
bremsen gewesen, klingelte etwas. Vage Bilder von meinem Vater, wie er den Kopf
schüttelte, wenn ich aus der Bücherei nach Hause kam, wie er mich beim
Abendessen fragte, warum ich mir keine Sachbücher auslieh, was ich mit all

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