Morton, Kate
ist
krank?«
»Demenz.
Etwas in der Art.« Vorsichtig fuhr ich fort: »Ihr Freund hat sie vor Jahren
verlassen, und davon hat sie sich nie wieder erholt.«
»Ihr
Freund?«
»Genauer
gesagt, ihr Verlobter. Er hat sie sitzen lassen, und es heißt, darüber ist sie
verrückt geworden. Buchstäblich verrückt.«
»Ach,
Edie«, sagte meine Mutter. Der leicht gequälte Gesichtsausdruck verwandelte
sich in eine Art Lächeln, wie man es einem tollpatschigen Kätzchen schenken
würde. »Was du dir bloß immer ausdenkst. Das wirkliche Leben ist gar nicht so.«
Das
ärgerte mich: Es ging mir auf die Nerven, ewig wie ein kleines Mädchen
behandelt zu werden. »Ich habe nur wiedergegeben, was man sich im Dorf
erzählt. Eine Frau meinte, Juniper sei schon immer labil gewesen, schon als
junges Mädchen.«
»Ich habe
sie gekannt, Edie. Du
brauchst mir nicht zu erzählen, wie sie als junges Mädchen war«, fauchte sie
mich an.
Sie war
eingeschnappt, darauf war ich nicht vorbereitet. »Tut mir leid«, sagte ich.
»Ich ...«
»Nein.«
Sie hob eine Hand, drückte sie leicht an die Stirn, sah sich verstohlen um.
»Nein, mir tut es
leid. Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist.« Sie seufzte und lächelte
unsicher. »Es wird die Überraschung gewesen sein. Zu erfahren, dass sie alle
drei noch leben und immer noch in diesem Schloss wohnen. Gott, sie müssen
inzwischen steinalt sein.« Sie runzelte die Stirn, tat so, als würde sie
angestrengt nachrechnen. »Die anderen zwei waren ja schon alt, als ich sie
kannte, zumindest kamen sie mir so vor.«
Ich war
immer noch verblüfft über ihre heftige Reaktion und antwortete vorsichtig: »Du
meinst, sie sahen alt aus? Grauhaarig und alles?«
»Nein,
nein, das nicht. Schwer zu sagen, was es war. Ich nehme an, sie waren erst
Mitte dreißig, aber das war damals ja noch etwas anderes. Und ich war sehr
jung. Kinder haben eine andere Perspektive, nicht wahr?«
Ich
antwortete nicht, und sie rechnete auch nicht damit. Wir schauten uns an, aber
ihr Blick ging durch mich hindurch. »Sie benahmen sich mehr wie Eltern als wie
Schwestern«, sagte sie. »Juniper gegenüber, meine ich. Sie waren viel älter als
sie, und Junipers Mutter war gestorben, als sie noch ganz klein war. Der Vater
hat noch gelebt, aber der hat sich kaum eingemischt.«
»Er war
Schriftsteller. Raymond Blythe«, sagte ich zögernd, darauf bedacht, ihr nicht
noch einmal zu nahezutreten, indem ich ihr erklärte, was sie selbst aus erster
Hand wusste. Aber diesmal schien es sie nicht zu stören, und ich wartete
darauf zu erfahren, ob ihr bewusst war, was der Name alles beinhaltete, ob sie
sich erinnerte, mir damals das Buch aus der Bücherei mitgebracht zu haben, als
ich krank im Bett lag. Ich hatte gehofft, dass es mir beim Ausräumen meiner
Wohnung in die Finger fallen würde, um es mitbringen und ihr zeigen zu können,
aber ich hatte es nicht gefunden. »Er hat eine Geschichte geschrieben mit dem
Titel Die wahre Geschichte vom Modermann.«
»Ja«,
sagte sie sehr leise.
»Bist du
ihm mal begegnet?«
Sie
schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn ein paarmal gesehen, aber nur von Weitem. Er
war damals schon sehr alt und lebte ziemlich zurückgezogen. Die meiste Zeit hat
er in seinem Schreibzimmer oben im Turm verbracht, und da durfte ich nicht
raufgehen. Es war eins der ganz wenigen Verbote.« Sie senkte den Blick, und
unter jedem Augenlid pulsierte eine violette Vene. »Manchmal haben sie über
ihn gesprochen. Ich glaube, er konnte ganz schön schwierig sein. Ich habe ihn
mir immer wie König Lear vorgestellt, der seine Töchter gegeneinander
ausspielte.«
Es war das
erste Mal, dass ich hörte, wie meine Mutter sich auf eine Figur aus der
Literatur bezog, und es brachte mich völlig aus dem Konzept. Ich hatte meine
Examensarbeit über Shakespeares Tragödien geschrieben, und sie hatte nie auch
nur angedeutet, dass sie die Stücke kannte.
»Edie?«
Meine Mutter sah mich plötzlich durchdringend an. »Hast du ihnen gesagt, wer du
bist? Als du in Milderhurst warst? Hast du mit ihnen über mich gesprochen? Mit
Percy und den anderen?«
»Nein.«
Ich überlegte, ob sie das kränkte, ob sie mich als Nächstes fragen würde, warum
ich ihnen nicht die Wahrheit gesagt hatte. »Nein, hab ich nicht.«
»Gut.« Sie
nickte. »Das war eine gute Entscheidung. Sehr rücksichtsvoll. Du hättest sie
nur verwirrt. Das ist alles so lange her, und es war ja nur ein kurzer
Aufenthalt. Wahrscheinlich haben sie längst vergessen, dass ich
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