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Morton, Kate

Morton, Kate

Titel: Morton, Kate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die fernen Stunden
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bei ihnen
gewesen bin.«
    Das war
meine Chance, und ich ergriff sie. »Das ist es ja gerade, Mum. Sie haben dich
nicht vergessen. Juniper jedenfalls nicht.«
    »Was
meinst du damit?«
    »Sie hat
mich für dich gehalten.«
    »Sie ...?«
Sie sah mich forschend an. »Woher weißt du das?« »Sie hat mich Meredith
genannt.«
    Sie legte
die Fingerspitzen an ihre Lippen. »Hat sie ... Hat sie sonst noch etwas
gesagt?«
    Eine
Weggabelung. Eine Entscheidungsmöglichkeit. Und dann auch wieder nicht. Ich
musste behutsam vorgehen: Wenn ich meiner Mutter erzählte, was genau Juniper
gesagt hatte, dass sie sie beschuldigt hatte, ein Versprechen gebrochen und ihr
Leben ruiniert zu haben, wäre unser Gespräch mit Sicherheit im nächsten Moment
beendet. »Eigentlich nicht«, sagte ich. »Habt ihr euch nahegestanden?«
    In dem
Moment stand der Mann am Nebentisch auf und stieß mit seinem enormen Gesäß
leicht an unseren Tisch, sodass alles, was darauf stand, ins Wanken geriet.
Ich lächelte abwesend, als er sich entschuldigte, denn ich war voll und ganz
damit beschäftigt, die wackelnden Tassen und unser Gespräch zu retten. »Wart
ihr damals eigentlich Freundinnen, du und Juniper?«
    Sie wandte
sich ihrem Kaffee zu, brauchte, wie mir schien, eine Ewigkeit, um mit ihrem
Löffel den Schaum von der Innenseite der Tasse zu schaben. »Weißt du, das ist
so lange her, dass es mir schwerfällt, mich an Einzelheiten zu erinnern.« Ein
metallisches Klappern, als sie den Löffel auf der Untertasse ablegte. »Wie
gesagt, ich war nur ein gutes Jahr dort. Anfang 1941 hat mein Vater mich abgeholt.«
    »Und du
bist nie wieder hingefahren?«
    »Es war
das letzte Mal, dass ich Milderhurst gesehen habe.«
    Sie log.
Mir wurde heiß und schwindlig. »Bist du dir ganz sicher?«
    Ein kurzes
Lachen. »Edie — was für eine komische Frage. Natürlich bin ich mir sicher. So
was vergisst man doch nicht, oder?«
    Ganz
genau. Ich schluckte. »Eben. Mir ist nämlich etwas Merkwürdiges passiert. Als
ich zum ersten Mal vor dem Eingang zu Schloss Milderhurst stand - vor dem
großen Tor unten an der Zufahrt —, da war ich mir auf einmal ganz sicher, dass
ich da schon mal gewesen war.« Als sie nichts sagte, fuhr ich fort. »Dass ich
mit dir dort gewesen war.«
    Ihr
Schweigen war unerträglich. Plötzlich wurden mir die Cafégeräusche um uns herum
bewusst, das dröhnende Klopfen, wenn das Kaffeesieb geleert wurde, das
Kreischen der Kaffeemühle, schrilles Lachen irgendwo oben auf der Galerie.
Aber es war, als hörte ich alles zeitversetzt, als säßen meine Mutter und ich
jeweils unter einer eigenen Glasglocke.
    Ich
kämpfte gegen das Zittern in meiner Stimme an. »Als ich klein war. Da sind wir
mal dahingefahren, du und ich, und wir haben an diesem Tor gestanden. Es war
heiß, da war ein See, und ich wollte unbedingt darin schwimmen, aber wir sind nicht
in den Park gegangen. Du hast gesagt, es sei zu spät.«
    Meine
Mutter betupfte sich den Mund mit ihrer Serviette, langsam, grazil, dann
schaute sie mich an. Einen Moment lang meinte ich etwas wie Eingeständnis in
ihren Augen aufleuchten zu sehen, dann blinzelte sie, und es war fort. »Das
bildest du dir ein.«
    Ich
schüttelte langsam den Kopf.
    »Diese
Tore sehen doch alle gleich aus«, fuhr sie fort. »Du hast es wahrscheinlich
irgendwo auf einem Foto gesehen - oder in einem Film -, und jetzt bringst du
alles durcheinander.«
    »Aber ich
erinnere mich genau ...«
    »Ich
glaube dir, dass es dir so vorkommt. Genauso wie damals, als du behauptet
hast, Mr. Watson von nebenan sei ein russischer Spion, oder als du plötzlich
davon überzeugt warst, wir hätten dich adoptiert - wir mussten dir tatsächlich
deine Geburtsurkunde zeigen, erinnerst du dich?« In ihrer Stimme lag ein Ton,
der mir aus meiner Kindheit nur allzu vertraut war. Die aufreizende
Selbstsicherheit einer unangreifbaren Respektsperson, die mir einfach nicht
zuhörte, egal, wie laut ich redete. »Dein Vater hat mich mit dir zum Arzt
geschickt wegen deiner nächtlichen Angstzustände.«
    »Das ist
etwas anderes.«
    Sie
lächelte. »Du hast zu viel Fantasie, Edie. Das war schon immer so. Ich weiß
nicht, wo du das her hast, von mir jedenfalls nicht. Und erst recht nicht von
deinem Vater.« Sie hob ihre Handtasche vom Boden auf. »Wo wir gerade von ihm
reden. Ich muss nach Hause.«
    »Aber Mum
...« Ich spürte, wie der Abgrund sich wieder zwischen uns auftat, und mich
packte die Verzweiflung. »Du hast deinen Kaffee noch gar nicht

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