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Morton Rhu - Leben und Werk

Morton Rhu - Leben und Werk

Titel: Morton Rhu - Leben und Werk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Bardola
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Naziregime beschäftigten. Er war hocherfreut und beschwichtigte mich, ich solle mir keine Sorgen machen. Er würde mit den besorgten Eltern reden und sie beruhigen. Als ich dieses Gespräch beendet hatte, stellte ich mir vor, wie Geistliche bei ähnlichen Gesprächen die Menschheitsgeschichte hindurch unerträgliche Situationen in Kauf nahmen und schönredeten. Hätte er nur vor Zorn gebrüllt oder einfach weitere Nachforschungen angestellt, hätte ich den Schülern ein Beispiel von gerechter Zivilcourage vor Augen führen können. Aber nein – der Rabbiner wurde ein Teil des Experiments. Indem er die Unterdrückung in dem Experiment ignorierte, wurde er zum Mittäter und Mitschuldigen.«
    Gerade Jones’ Bemerkung über den Rabbiner zeigt, wie sehr dieses Experiment eines mit offenem Ausgang war – schließlich ist davon auszugehen, dass sich alles anders entwickelt hätte, wenn Jones seinen Schülern am Beispiel des protestierenden Rabbiners Zivilcourage hätte aufzeigen können und damit gleichsam die Fehler der Third Wave -Bewegung entlarvt hätte. Das Fehlen moralischer Grenzziehungen und die verhältnismäßig kleine Rolle, die der Lehrer als Führer der Bewegung von sich aus einnimmt, offenbaren das Selbstläuferprinzip in der Verbreitung faschistischen Gedankenguts. »Selbst laufen« kann der Faschismus natürlich nur dem Anschein nach, in Wahrheit schiebt ihn fast jeder der am Experiment beteiligten Schüler ein kleines bisschen an, oft ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Dieser verhältnismäßig geringe Beitrag jedes einzelnen Mitläufers eröffnet den Beteiligten die Möglichkeit der Verdrängung, der Leugnung. Sie können die »eigene Geschichte ausblenden«, wie es Ron Jones treffend in seiner Rede vor den Schülern am Ende des Experiments formuliert:
    »Während dieser Woche haben wir gespürt, wie es gewesen sein könnte, in Nazideutschland zu leben. Wir spürten, wie es sich anfühlt, ein an Disziplin ausgerichtetes Sozialgefüge zu schaffen. Eine besondere Gemeinschaft aufzubauen und ihr Treue zu schwören. Vernunft durch Regeln zu ersetzen. Ja, wir hätten alle gute Nazideutsche abgegeben. Wir hätten die Uniformen getragen. Hätten unseren Blick abgewendet, während unsere Nachbarn verteufelt und dann verfolgt wurden. Die Türen verriegelt. In den ›Verteidigungs-Fabriken‹ gearbeitet. Ideen verbrannt. Wir wissen jetzt auf eine bescheidene Weise, wie es sich anfühlt, einen Helden zu finden. Die schnelle Lösung vorzuziehen. Uns stark zu fühlen, Meister unseres Schicksals zu sein. Wir kennen die Angst, ausgeschlossen zu werden. Das Glücksgefühl, etwas richtig gemacht zu haben und dafür belohnt zu werden. Die Nummer eins zu sein. Recht zu haben. Wir haben gesehen und vielleicht gespürt, wohin diese Aktionen unter extremen Umständen führen können. In der vergangenen Woche haben wir miterlebt, dass Faschismus nicht einfach etwas ist, was andere gemacht haben. Nein. Er ist hier. In diesem Raum. In unseren eigenen Angewohnheiten und Lebensstilen. Kratz an der Oberfläche und es kommt darunter zum Vorschein. Etwas, das wir alle in uns tragen. Wie eine Krankheit. Der Glaube, dass Menschen im Grunde böse sind und nicht fähig, einander gutgesinnt zu sein. Ein Glaube, der nach einem starken Führer ruft, nach Disziplin, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Und es gibt noch etwas. Der Akt der Entschuldigung. Das ist die letzte Lektion, die wir lernen müssen. Und vielleicht auch die wichtigste. Die Frage, die alles auslöste. Wisst ihr noch, was die Frage war? Es ging um das Erstaunen darüber, dass die deutsche Bevölkerung sich darauf berief, nichts gewusst und keine Schuld gehabt zu haben. Wenn ich mich recht erinnere, war die Frage ungefähr die: Wie konnte am Ende des Dritten Reichs der deutsche Soldat, der Lehrer, Bahnangestellte, die Krankenschwester, der Finanzbeamte, der Durchschnittsbürger behaupten, von alldem nichts gewusst zu haben? Wie kann ein Volk bei so etwas mitmachen und im Nachhinein behaupten, nichts damit zu tun gehabt zu haben? Was treibt die Leute dazu, ihre eigene Geschichte auszublenden? In den nächsten Minuten und vielleicht Jahren werdet ihr Gelegenheit haben, diese Frage zu beantworten. Wenn unser Modellversuch zur faschistischen Gedankenwelt komplett ist, wird keiner von euch je zugeben, bei dieser letzten Kundgebung von The Third Wave anwesend gewesen zu sein. Wie den Deutschen wird es euch schwer fallen zuzugeben, dass ihr so weit gegangen seid.

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