Morton Rhu - Leben und Werk
mitzuteilen und neue Mitglieder zu rekrutieren. Das heißt, ab jetzt wird zum Wohl der Welle-Gemeinschaft denunziert. Abweichler und Kritiker werden gemeldet und schikaniert. »Macht durch Handeln« wird den bestehenden Grundsätzen hinzugefügt. Die Schüler lernen und merken: Jeder ist gleich, niemand ist etwas Besseres. Sie sind eine Gemeinschaft, ein Team. George springt im Unterricht spontan auf und ruft: »Mister Ross, ich fühle zum ersten Mal, dass ich Teil von etwas bin und finde das großartig!«
Die Reaktionen fast aller Schüler sind positiv. David, Lauries Freund, meint, der »Wellen-Geist« wäre auch für das Football-Team von Vorteil. Laurie kommen erste Zweifel im Gespräch mit ihrer besorgten Mutter, die Ben Ross Manipulation unterstellt und unterstreicht, dass sie ihre Tochter zu einem selbstständigen Menschen erzogen habe.
Die neue »Gleichheit« aber fasziniert auch Laurie: Robert Billings, der Einzelgänger, sitzt in der Cafeteria jetzt nicht mehr allein an einem Tisch, sondern gesellt sich zu den anderen Welle-Mitgliedern. Immer mehr Schüler werden Mitglieder der Welle.
Ben Ross ist sich nicht sicher, was aus der Welle werden soll. Was als bloßes Experiment begann, war zu einer Bewegung geworden. Die Auswirkungen auf die Schüler sind erfreulich: Sie bleiben trotz der Welle-Zeremonien im Stoff nicht zurück, im Gegenteil, sie bewältigen die Aufgaben schneller. Die Beteiligung am Unterricht hat sich verbessert. Und die Hausarbeiten werden gründlich erledigt. Es scheint so einfach, den Schülern Disziplin beizubringen. Aus meist eher gleichgültigen Schülern sind schneidige Mädchen und Burschen geworden, die den Drill zu schätzen wissen.
Gleichzeitig mehren sich aber Folgeerscheinungen der Welle, die Ben Ross und Laurie nachdenklich stimmen: Ein Schüler, der sich ausgegrenzt und sogar bedroht fühlt, weil er der Welle nicht beitreten möchte, schreibt einen anonymen Brief an die Schülerzeitung. Und der (ehemalige) Außenseiter Robert bietet Ben Ross an, sein Leibwächter zu werden:
»Ich weiß, dass Sie einen Leibwächter brauchen, und ich könnte das, Mister Ross. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl … Wirklich, niemand macht sich mehr über mich lustig. Ich habe das Gefühl, dass ich zu etwas ganz Besonderem gehöre.«
Ben nickte.
»Also, darf ich? Ich weiß, dass Sie einen Leibwächter brauchen, und ich könnte das!«
Ben schaute Robert ins Gesicht. Der früher so in sich gekehrte Junge ohne Selbstbewusstsein war jetzt ein ernsthaftes Mitglied der Welle, das sich Sorgen um seinen Führer machte.
Schließlich kommt es zu einer Schlägerei im Football-Team – Streit um die Positionen im Team gab es schon immer, aber die Welle scheint Konflikte zu verstärken. Ben Ross ist erschüttert, als er erfährt, dass wegen der Welle körperliche Auseinandersetzungen stattfinden. Trotzdem wünscht er sich weiterhin Erfolg für alles, was mit der Welle zusammenhängt.
Aber seit wann wünschte er sich eigentlich einen Erfolg der Welle? Erfolg oder Fehlschlag der Welle waren doch nicht das Ziel des Experiments. Er hatte sich eigentlich nur für das zu interessieren, was seine Schüler daraus lernten.
Mitte der Woche noch im Zweifel, ist Ben Ross am Tag fünf des Experiments, auch durch das Zureden von Laurie und David und dem Druck des entrüsteten Schuldirektors, bereit, das aus dem Ruder gelaufene Experiment zu beenden. Wichtig ist ihm allerdings, wie das geschieht – er möchte, dass die Schüler selbst erkennen, was sie mit der Welle geschaffen haben.
Ben Ross versammelt die Welle-Mitglieder in der Aula der Schule.
»Die Welle ist nicht nur ein Unterrichtsexperiment. Sie ist viel mehr. Ohne dass ihr es wusstet, haben in der vergangenen Woche Lehrer wie ich im ganzen Land eine Jugendbrigade rekrutiert und herangebildet, um dem Rest unseres Volkes zu zeigen, wie man eine bessere Gesellschaft begründen kann.«
Alles deutet darauf hin, dass Ben Ross die Welle nicht beenden, sondern im Gegenteil noch steigern will. Laurie und David werden immer nervöser. Als Ben Ross die beiden aus der Versammlung entfernt, weil sie gegen die Welle im Plenum protestieren wollen, glauben sie, dass sie nur ruhiggestellt werden, damit der Übergang der Welle in eine nationale Jugendbewegung ungestört ablaufen kann.
»In wenigen Augenblicken wird unser nationaler Führer zu uns sprechen.« Ben wandte den Kopf zur Seite. »Robert?«
»Mister Ross?«
»Schalte die Fernsehgeräte
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