Morton Rhu - Leben und Werk
Ihr werdet euren Freunden und Eltern nicht sagen, dass ihr bereit gewesen seid, eure persönliche Freiheit und Entscheidungsgewalt dem Diktat der Ordnung und unsichtbaren Anführern zu opfern. Ihr werdet nicht zugeben wollen, manipuliert worden zu sein. Mitläufer gewesen zu sein. The Third Wave als Lebensstil angenommen zu haben. Ihr werdet nicht zugeben, bei diesem Irrsinn mitgemacht zu haben. Ihr werdet diesen Tag und diese Kundgebung totschweigen. Als ein Geheimnis, das ich mit euch teilen werde.«
Die Scham ist groß am Ende des Experiments. Das wird in Ron Jones’ Bericht besonders deutlich. Ein Tabu droht zu entstehen. Das Verdienst der fiktionalen Bearbeitung dieses Stoffes durch Morton Rhue ist daher nicht zuletzt, das Geheimnis zu lüften, das Schweigen zu durchbrechen, die menschlichen Schwächen und Fehler zu benennen und aufzufangen.
Die Welle schlägt Wellen
»Die Welle« ist der bekannteste Roman von Morton Rhue. Die meisten Leser des vorliegenden Buches kennen schon »The Wave«, sei es als amerikanischer TV -Film, sei es als Kinofilm von Dennis Gansel, sei es als Graphic Novel, als Hörbuch, als Theaterstück, als Musical, als Spiel (»Wellenschläge«) oder als Aufsatz von Ron Jones – insbesondere aber als Roman von Morton Rhue. Im Folgenden soll eine Auswahl an Ausdrucksformen näher betrachtet werden, die die Vielschichtigkeit des Stoffes und das Wechselspiel zwischen Roman und szenischer Gestaltung beleuchten – sei es im Film, auf der Bühne oder im grafisch-bildlichen Roman.
Film
2008 erschien Dennis Gansels Filmdrama »Die Welle« und lockte zweieinhalb Millionen Besucher in die deutschen Kinos. Gansel verlegt das Faschismus-Experiment zeitlich und räumlich von einer kalifornischen Highschool im Jahre 1967 an eine deutsche Schule unserer Gegenwart. Im November 2011 sprach ich mit dem 1973 geborenen Drehbuchautor und Regisseur, der sich unter anderem in seinem preisgekrönten Film »Napola« mit den Verwerfungen nationalsozialistischer Menschen(ver)führung am Beispiel einer NS -Kaderschmiede auseinandergesetzt hat.
Nicola Bardola: Wie kam es zur Idee, »Die Welle« zu verfilmen?
Dennis Gansel: Ich glaube, es war im Sommer 1986, relativ kurz nach Erscheinen des Romans. Da habe ich Morton Rhues »Die Welle« zum ersten Mal gelesen. Und zwar nicht im Rahmen der Schule, sondern privat, weil ich das Thema faszinierend fand. Ich konnte das Buch seither nie mehr vergessen. Es hat mich stark geprägt. Was da erzählt wird, fand ich erschreckend und faszinierend zugleich. Es hatte wohl auch viel mit dem Wunsch zu tun, später Regisseur zu werden. Jedenfalls war das ein ganz beeindruckendes Jugendbuch. Und die Tatsache, dass es in einer amerikanischen Welt spielte, störte mich wenig. Dadurch, dass meine Großeltern das Dritte Reich noch aktiv erlebt hatten und Großvater Soldat war, entwickelte die Lektüre für mich einen unheimlichen Sog. Ich fand, dass so etwas in Deutschland noch viel eher passieren könnte als in den USA . Also habe ich mir schon damals überlegt, was wäre, wenn ein solcher Versuch in Deutschland durchgeführt wird.
Nicola Bardola: Rund zwanzig Jahre später begann dann wohl Ihre intensivste Auseinandersetzung mit »Die Welle«.
Dennis Gansel: Nach dem Film »Napola – Elite für den Führer«, der unter anderem Erlebnisse meines Großvaters berücksichtigt, der an einer Eliteschule der Nationalsozialisten war, fragte ich mich, was als nächster Stoff infrage kommen könnte. »Napola« enthält ja ähnliche Themen wie »Die Welle«: Erziehung, Unterricht, Verführung und Faschismus. In Gesprächen mit meinem Koautor Peter Thorwarth stellte sich heraus, dass er auch Ende der 1980er Jahre »Die Welle« gelesen hatte und sehr davon beeindruckt war. Auch ihn trieb die Frage um: Wäre so etwas in Deutschland möglich? Wir halten uns ja mehrheitlich für immun, weil wir das Dritte Reich als Geschichte unserer Väter und Großväter kennen und es mit allen Konsequenzen und mit entsprechender Aufklärungsarbeit weiterhin in der Gegenwart sehr präsent ist. Also machten wir uns an die Arbeit und prüften, ob eine Adaption des Stoffes möglich sein könnte, die dann in Deutschland spielen sollte.
Nicola Bardola: Sie haben viel eigene Kreativität in das Projekt investiert. Wie war die Rechtelage für Ihre Verfilmung?
Dennis Gansel: Wir hatten nicht das Recht, Morton Rhues Roman zu verfilmen, jedoch durften wir die Fernsehsendung von ABC aus dem Jahr 1981 als Grundlage
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