Moser Und Der Tote Vom Tunnel
begonnen haben, wird wesentlich langsamer gefahren. Mein Sohn hat in der Tat schon mal beobachtet, wie ein Lokführer etwas einem Bauarbeiter zugeworfen hat.«
»Hoch interessant, um was für einen Gegenstand handelte es sich denn?«, fiel Moser dem Alten ins Wort.
»Na, der Fahre-Louis hatte seinen Henkelmann zu Hause in Rodalben vergessen. Und da hat seine Babett das Essen für ihren Mann dem Lokführer beim Halt in Rodalben mitgegeben. Wissen Sie, der ist doch der Bruder von der Babett …«
»Wie, ein Henkelmann?«, ärgerte sich Moser, »sonst nichts? Haben Sie oder Ihr Sohn nichts anderes beobachtet?«
»Nein, nicht dass ich wüsste. Kann ja sowieso kaum mehr aus dem Haus mit meinem kaputten Bein. Aber mein Heinrich hätte mir doch sicher gesagt, wenn er irgendwas mitbekommen hätte. Es ist ja meine einzige Unterhaltung, wenn er mir über das berichtet, was er erlebt hat.«
»Sagen Sie mal«, fragte Sehnert, »wo war eigentlich Ihr Sohn am Tag des Unglücks?«
»In Münchweiler. Bei der Gemeinde und beim Pfarrer. Er musste doch mein drittes Enkelkind anmelden, das am 28. Januar geboren wurde. Ein Sohn. Bin ganz stolz auf ihn. Schade, dass ich ihn nicht zeigen kann. Aber meine Schwiegertochter hat ihn in einem Tuch auf dem Rücken mit in den Wald genommen.«
»Wie lange war Ihr Sohn denn in Münchweiler?«, wollte Moser wissen.
»Der ist noch vor Sonnenaufgang losgegangen hinunter ans Gleis, wo ihn der Seffrin mit seinem Bauzug mitnahm. Und zurück war er erst am späten Abend, weil doch der Pfarrer an die Unglücksstelle gerufen worden war. Mein Heinrich musste die ganze Zeit bei der Haushälterin des Pfarrers auf dessen Rückkehr warten. Er tat mir richtig leid, dass er so lange bei dieser Rippe aushalten musste …«
Moser und Sehnert verabschiedeten sich von Krautwurst und stiegen wieder in ihre Kutsche. »Sehnert, vielleicht überprüfen Sie noch mal vorsichtshalber, ob der junge Krautwurst tatsächlich die ganze Zeit in Münchweiler war. Auch wenn ich es für wahr halte. Nur glaube ich dem Alten nicht, dass hier nicht schon öfter Sachen aus dem Zug geworfen wurden. Ob die Krautwursts nun etwas davon mitbekommen haben oder nicht.
Meinem Instinkt nach hat der junge Krautwurst jedoch mit dem Mord nichts zu tun.«
Die beiden Polizisten fuhren noch einmal kurz ins Eisenbahnerlager zurück, da Moser seinen Schirm in der Bauleiterbaracke vergessen hatte. Beim Abschied wollte Kettenring wissen, ob der Kriminalrat schon einen Verdacht hätte. Dieser antwortete: »Man wird sehen. Wir haben schon einiges herausgefunden …«
Auf der Rückfahrt eröffnete Moser Sehnert, er müsse definitiv in zwei Tagen nach München zurück. Pfister erwarte einen ausführlichen Bericht über den Fall. »Schade, dass wir bisher so wenig konkrete Anhaltspunkte haben. Aber das muss dem Ministerium fürs Erste genügen«, meinte Moser.
»Und wie geht es weiter, Herr Kriminalrat?«, wollte Sehnert wissen.
»Nun, lieber Sehnert, Sie ermitteln selbstverständlich weiterhin. Haben ja bisher ganz gute Arbeit geleistet. Sobald sich etwas Neues ergibt, verständigen Sie mich sofort. Werde mich halt wieder auf die Reise hierher begeben, wenn es sich lohnt. Bin mir sicher, wir werden diesen Fall in absehbarer Zeit lösen«, erwiderte Moser.
Sehnert dachte für sich: ›Auch der Kriminalrat stochert im Nebel. Nur will er es nicht zugeben …‹
Wieder in Pirmasens angekommen, schickte Moser den Hotelboten des ›Lamm‹ noch am Abend zum Bahnhof, für ihn eine Fahrkarte nach München sowie die Pirmasenser Zeitung zu besorgen. Außerdem gab er ein Telegramm an seinen Vorgesetzten im Ministerium auf, in dem er seine Rückkehr für übermorgen ankündigte.
Inzwischen hatte sich das Wetter gebessert und Moser verspürte Lust, vor dem Abendessen noch einen kleinen Spaziergang durch die Stadt zu machen.
Sein Weg führte ihn die Hauptstraße hinauf zum Exerzierplatz, an dessen Ostseite er die Kirche erkannte, in der sein Regiment 1849 einquartiert war. Der Kriminalrat wunderte sich über das große, schlossartige Gebäude, das inzwischen auf dem Platz entstanden war. Offensichtlich handelte es sich um eine großzügige Schule, die wohl noch keine zehn Jahre alt war. Ein so stattliches Gebäude hätte man in Pirmasens nicht erwartet. Der Münchner war außerdem erstaunt, dass man den riesigen Patz seit seinem damaligen Aufenthalt teilweise mit großzügigen Wohnhäusern bebaut hatte. Obwohl der Exerzierplatz nun nur noch
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