Moser Und Der Tote Vom Tunnel
Kronprinz Rudolf bei uns durch, auf dem Weg nach Berlin zur Beerdigung vom deutschen Kaiser. Die Strecke über Lundenburg ist die kürzeste Verbindung von Wien nach Berlin, wissen S’ …«
In diesem Augenblick ertönte der Pfiff der Lokomotive und der kaiserlich-königliche Salonzug fuhr ohne Halt durch den Bahnhof. Der Schrankenwärter salutierte und öffnete nach der Durchfahrt die Schlagbäume. Moser stapfte über die Gleise in den dichten Robinienwald, der keinen Blick auf den Fluss freigab. Er blieb stehen und überlegte, wie er in dieser unübersichtlichen Situation die Hütte des alten Reischütz finden sollte. Sofort fielen Hunderte von Gelsen über ihn her und Moser ging, um sich schlagend, den schmalen Pfad weiter, bis er endlich die Wasserfläche erreichte.
Die March floss träge und ruhig nach Süden in Richtung Donau, an einem Steg war ein Nachen angebunden. Moser erspähte am gegenüberliegenden Ufer einen weiteren Bootssteg, auf dem ein kleiner Geräteschuppen montiert war. Er wendete sich nach Norden und erkannte, auch auf seinem Ufer gab es mehrere dieser Stege. Vielleicht könnte er ja mit dem Boot diese abfahren; irgendeiner der Stege müsste zur Fischerhütte vom alten Reischütz gehören. Da ihm das Rudern flussaufwärts in der feuchten Luft jedoch zu anstrengend erschien, marschierte er doch auf dem schmalen Treidelpfad des Westufers, von den Gelsen verfolgt, in Richtung der nördlich liegenden Bootsstege.
Irgendwie kam es ihm vor, als ob er beobachtet würde, obwohl das Flussufer offensichtlich menschenleer schien. Hinter dem ersten Steg, der einen verfallenen Eindruck machte, konnte er keine Hütte erkennen. Die Fischerhütte am nächsten Bootsanleger war verlassen. Am Zugang zum dritten Steg stand auf einem verblichenen Holzschild: ›SLATKO HOKIC, JAKUBOV‹, also ebenfalls nicht der Anleger des alten Reischütz. Erst am übernächsten Bootssteg glaubte Moser, fündig geworden zu sein.
Aus dem Kamin der zugehörigen Fischerhütte am Treidelpfad quoll dünner Rauch. Neben dem Steg lag ein aufs Land gezogener Nachen, in dessen Sitzbank die Inschrift ›Josef Reischütz‹ geritzt war.
Moser sah sich um, konnte jedoch niemand entdecken. Er klopfte mit dem Knauf seines Stockes an die Tür der Hütte. Als sich nichts rührte, drückte er die Klinke hinunter. Die Tür war unverschlossen und er trat ein. Der Innenraum wurde nur durch ein kleines Fensterchen spärlich belichtet. Die Umrisse eines Mannes, dessen Gesicht verborgen blieb, waren zu erkennen.
Dieser sagte: »Haben Sie mich also doch gefunden …«
Moser antwortete: »Sie sind Anton Tschulnigg, wie ich annehme. Mein Name ist Moser, Kriminalrat bei der bayerischen Polizei. In der Tat suche ich Sie schon länger.«
Tschulnigg ging ein paar Schritte auf Moser zu: »Und ich habe Sie bereits erwartet. Sie haben mich also von der Pfalz bis hierher verfolgt. Fast tausend Kilometer …«
»Und habe Sie gefunden, Tschulnigg. Sie werden Ihrer Strafe nicht entgehen …«
»Ich habe meinen Freund István nicht umgebracht. Das müssen Sie mir glauben …«
»Das habe ich auch nicht behauptet, Tschulnigg. Aber Sie müssen mir einiges erklären. Was den Waffenschmuggel betrifft, so ist dies in erster Linie Sache der hiesigen Polizei. Der Mord ist jedoch in Bayern passiert und fällt deshalb in meinen Zuständigkeitsbereich.«
»Ja, ja, aber Sie sind hier im Ausland und haben keinerlei Befugnisse …«
»Nun, ich will Sie auch nicht verhaften, sondern möchte nur ein paar Informationen. Wenn Sie, wie Sie sagen, mit Somody befreundet waren, müsste auch Ihnen an der Aufklärung des Mordfalls gelegen sein. Ich denke, das sind Sie Ihrem Freund schuldig. Denn an der Tatsache, dass er tot ist, sind Sie schließlich nicht ganz unbeteiligt. Sie haben seine Notlage ausgenutzt und ihn für Sie die Kastanien – besser die Gewehre – aus dem Feuer holen lassen.«
»Glauben Sie nicht, dass ich mir keine Vorwürfe mache. Aber die Sache wäre auch dieses Mal gut gegangen. Wenn nicht jemand dazwischengekommen wäre.«
»So, so, dazwischengekommen. Wissen Sie denn, wer Ihren Freund auf dem Gewissen hat?«
»Nein. Als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe, war er bereits tot und unter diesem Felsvorsprung verborgen.«
»Jetzt reden Sie schon …, ich will endlich die ganze Geschichte wissen!«
»Also gut. István hatte unter falschem Namen bei dieser Eisenbahngesellschaft angeheuert. Es war wichtig, dass er nicht bei einer der am Streckenausbau
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