Moskito
Mittwochnachmittagen im September armen Großstadtkindern Nachhilfeunterricht zu geben, und habe zwei Avocados und einen Zitronenkern zum Austreiben gebracht. Tess, rutsch nicht so viel herum auf diesem Sofa!«
»Es ist zu glatt«, beschwerte sich Tess. »Der alte Bezug gefiel mir viel besser.«
Geraume Zeit schwiegen beide, in Betrachtung von Judys Sofa versunken.
Schließlich sagte Tess zögernd: »Wir wissen beide, was es ist. In unserem Alter sind die meisten Leute verheiratet, oder sie haben beschlossen, lieber ledig bleiben zu wollen. Wenn du eine unverheiratete Frau bist und eine ernsthafte Beziehung willst, bist du wie jemand, der im November ein Kartoffelfeld abgeht. Du suchst nach den Kartoffeln, die bei der Ernte übersehen wurden, aber sie sind fast alle schrumpelig und wurmig. Also wartest du mitten auf dem leeren Feld, daß eine andere Frau feststellt, daß sie die Kartoffel, die sie gerade aufgehoben hat, nicht will und sie wieder wegwirft. Genau darauf wartest du, und das ist beschämend. Und in der Zwischenzeit entwickelst du einen Vitamin-C-Mangel und kriegst Skorbut und Runzeln.«
Judy sah sie nur an.
»Okay, die Theorie gefällt dir nicht. Hier ist eine andere: auf dieser gottverdammten Welt haben die Frauen immer noch nicht soviel zu melden wie die Männer. Wir sind nicht diejenigen, die wählen, wir sind diejenigen, die darauf warten müssen, daß sie gewählt werden. Wir sind wie Ware im Verkaufsregal – sagen wir, Tafelgeschirr. Einige sind billige Teller und andere sind aus Wedgewood-Porzellan und wieder andere sind ein wenig angeschlagen oder was auch immer. Und einige – wie du und ich – sind beste Qualität, bei hohen Temperaturen gebrannte, handbemalte Töpferware. Aber handbemalte, getöpferte Schüsseln sind nicht jedermanns Geschmack. Nicht jeder greift danach. Außerdem muß man sehr vorsichtig damit umgehen. Also werden die angeschlagenen Teller gekauft und die knalligen Weingläser. Reiche Typen kaufen das Wedgewood. Und die handbemalte Töpferware bleibt liegen.«
»Nur damit ich das auch richtig verstehe«, sagte Judy, »du findest also, wir sind Steingutschüsseln mit Runzeln?«
Tess überlegte kurz. »Ja.«
»Also, ich nicht! Und du auch nicht! Wir betteln nicht um die Kartoffeln anderer Leute und wir stehen auch nicht in irgendeinem Verkaufsregal! Tess, du glaubst doch selbst nicht, was du da sagst!«
»O doch, manchmal schon.«
»Na, dann hör auf damit. Ich wette, kein Mensch, der diese Uniform trägt, ist je mit einer so jämmerlichen Theorie dahergekommen!«
»Also ich würde nicht wetten.«
Judy lachte auf und starrte dann tief in ihr leeres Weinglas. »Tess, ich möchte, daß du dich mit Robert triffst.«
»Ach, Judy, das hilft dir doch nicht weiter. Er …«
»Ich erwarte gar nicht, daß es mir hilft. Du brauchst mich nicht einmal zu erwähnen. Ja, es wäre mir sogar lieber, wenn du es nicht tätest. Aber Robert ist ein guter FBI-Agent, auch wenn er nicht die geringste Ahnung von Frauen hat. Wenn er sagt, er hätte etwas Wichtiges über Malaria reading, dann hat er es. Wenn er sagt, er braucht dich dazu, dann braucht er dich. Bitte triff dich mit ihm.«
»Das willst du wirklich?«
»Ja.«
»Okay«, sagte Tess und griff nach der Weinflasche. »Aber gern tue ich es nicht. Das sag ich dir. Er hat dich wirklich mies behandelt, Judy.«
»Trotzdem bleibt er ein guter FBI-Mann.«
»Und darauf kommt es dir immer noch an, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Judy und nickte entschieden. »Also sag mir, daß du ihn triffst, Tess.«
»Na gut«, sagte Tess. »Na gut.«
Am Samstag war Melanie immer noch nicht nach Washington zurückgekehrt.
Wo, zum Teufel, steckte sie? Cavanaugh war in Sorge. Von einer Telefonzelle aus rief er seine FBI-Voice-Mail ab und dann versuchte er es beim Zentrum für Seuchenkontrolle, im Haus von Melanies Mutter in Mississippi, in ihrem Apartment in Atlanta und bei der Fluglinie, bei der sie ihr Ticket gebucht hatte, um anzufragen, ob es zu irgendeinem Zwischenfall gekommen war. Kein Zwischenfall im Luftverkehr. Niemand hatte Melanie zu Gesicht bekommen. Mississippi informierte ihn, daß sie in Atlanta war, und Atlanta informierte ihn, daß sie sich zu Hause in Mississippi aufhielt.
Wo war sie? Beschäftigt womit?
Zu seiner größten Überraschung hatte die Voice-Mail eine Botschaft von Tess Muratore. Er traf sie in einem Café in der Umgebung von Washington, nachdem er die zweite Nacht in einem Schlafsack auf dem Fußboden seiner
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