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Moskito

Moskito

Titel: Moskito Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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aus er Amerika nichts mehr antun konnte. Ja, wunderbar.
    Melanie fuhr Richtung Norden. Jetzt, wo der Entschluß gefaßt war, Donohue um jeden Preis zu besichtigen, merkte sie plötzlich, wie ausgehungert sie war. Wann hatte sie zum letzten Mal gegessen? Heute nicht. Gestern kaum. Ihr Magen ächzte nach einer Mahlzeit. Irgendwo im Distrikt Prinz George County bog sie in ein Einkaufszentrum ein und entdeckte einen Burger King. Also gut, wenn man so nach irgendeinem Bissen gierte, dann reichte auch ein Schnellimbiß.
    Es war offenbar eine schwarze Gegend: Schwestern und Brüder drängten sich sowohl vor als auch hinter der Theke, und zwischen den Schlangen Wartender flitzten die Kinder mit ihren Burger-King-Kronen auf dem Kopf wie die Verrückten hin und her. Melanie stellte sich hinter zwei Jungen an, Teenager mit teilweise geschorenen Köpfen und sackartiger, übergroßer Kleidung, und sah zwei kleinen Mädchen in rosa Strandkleidchen zu, die einander zwischen den Tischen jagten und vor Vergnügen kreischten. Der Schraubstock in Melanies Kopf lockerte sich etwas.
    »Einen Whopper«, sagte der Junge vor ihr zur Bedienung hinter der Theke, »und … und … oh, Scheiße …!« Er preßte die Hände an die Schläfen und fiel zu Boden.
    Eine Frau schrie auf. Der Freund des Jungen hockte sich neben ihn und schrie. »Cal! Cal!« Die zwei kleinen Mädchen hörten auf herumzurennen und standen still da. Eines der beiden fing an zu weinen. Die Leute drängten sich um den ohnmächtigen Jungen.
    Nein, nein, nein! Nicht schon wieder! Nicht noch ein Kind, nicht hier! Melanie war zu keiner Bewegung fähig.
    »So ruft doch jemand neun-eins-eins an!« rief ein Mann, und alle eilten zum Telefon, um den Notruf zu wählen. Der Junge auf dem Boden lag reglos da. Sein Freund fing an zu schluchzen.
    »Lassen Sie mich durch!« sagte Melanie; sie konnte nicht feststellen, ob tatsächlich irgendein Ton aus ihrer Kehle kam. »Lassen Sie mich durch! Ich bin Ärztin.«
    Die Menge öffnete sich. Der schluchzende Junge stellte augenblicklich das Schluchzen ein und sah zu ihr auf. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, aber noch bevor Melanie sich fragen konnte, was das zu bedeuten hatte, sprang der auf dem Boden liegende Junge auf, und beide begannen zu lachen und herumzuhüpfen. »Reingefallen! Reingefallen, ihr Blindgänger!«
    Melanie erstarrte. Die ganze Szene gefror, als wäre alles, sie selbst inbegriffen, von Eis umhüllt.
    »Reingefallen!«
    Schlagartig zerbrach das Eis.
    Melanie stürzte auf den Jungen zu und packte ihn am T-Shirt. »Was fällt dir ein! Was fällt dir ein, du elendes Miststück! Hast du den Verstand verloren?« Sie schlug ihn ins Gesicht: einmal, zweimal, dreimal. Obwohl er eine Handbreit größer war als sie, schlug er nicht zurück. Er starrte sie nur sprachlos an.
    »Wie kannst du es wagen, wie kannst du …?« Sie schluchzte jetzt, ihre Stimme wurde brüchig, und die letzte Ohrfeige verfehlte seine Wange und landete an seiner rechten Schläfe. Die anderen drei zeigten jedenfalls Wirkung: Seine Nase blutete, und das Blut rann über sein Kinn, sein Hemd und Melanies Hand.
    »He!« schrie der Freund des Jungen schließlich, packte Melanie von hinten und preßte ihre Arme an ihren Körper. Melanie trat nach ihm.
    »Die is’ keine Ärztin nich’«, sagte jemand.
    »Der Junge hat’s verdient! Jagt uns so ’nen Schrecken ein!«
    »Da kommt ’n Bulle!«
    »Was fällt dir ein, du Idiot!« schrie Melanie ein letztes Mal. »Wo deine eigenen Leute rundum tatsächlich sterben! Scheißkerl, blöder!«
    Hinter ihr ein Tumult und ein Durcheinander von Stimmen. Melanie konnte keine Einzelheiten wahrnehmen; das Eis war wieder da, und diesmal ließ es alles erstarren und erstickte jeden Anstand, jede Güte, jedes Mitgefühl …
    Der Junge hinter Melanie ließ sie los, und Handschellen schlossen sich statt dessen um ihre Handgelenke.
    »Das reicht«, sagte der Bulle. Er war streng, angewidert und weiß. »Was ist hier los?«
    Augenblicklich versuchten sechs Leute zugleich, es ihm zu erzählen. Er hörte sich das Durcheinandergebrabbel an, während er Melanie betrachtete. Plötzlich sagte er: »Ich kenne Sie. Vom Fernsehen her, Sie gehören zu diesem Expertenteam aus Atlanta. Doktor … Anderson.«
    Die Umstehenden verstummten und starrten Melanie an.
    »Haben Sie diesen Jungen attackiert?«
    Melanie sagte nichts. Der Bulle warf einen Blick auf den Jungen. Seine Nase blutete immer noch, und morgen würde er ein blaues Auge haben.

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