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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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sage ich.
    Sean bleibt stehen, seine Lippen öffnen sich leicht. Er legt erwartungsvoll den Kopf schief.
    »Es war gelogen, dass sie Nina nicht kennt, glaube ich.« Als ich mich das sagen höre, wächst meine Überzeugung noch. »Ich glaube, sie kennt sie.«
    »Wiiiiiiiiiirklich.« Das Wort quillt langsam aus Seans Mund, und als es draußen ist, grinst er. »Warum glaubst du das?«
    »Das klingt jetzt bestimmt verrückt«, sage ich.
    »Das gilt für die meisten genialen Eingebungen.«
    »Es war ihr Gesichtsausdruck, als sie das Foto von Nina angeschaut hat. Ihr Gesicht wurde irgendwie weicher, und sie hat einen Moment lang ein bisschen gelächelt, als wäre sie ein bisschen überrascht und ein bisschen amüsiert und wollte sich um sie kümmern… Sie hat das Foto so angesehen, wie die meisten Leute die echte Nina angesehen haben. Deshalb denke ich, dass sie sie gekannt hat, womöglich sogar gut. Aber warum hat sie dann gelogen?«

    Ich schaue zu Sean auf, aber er hat den Blick abgewendet.
    »Hat sie versucht, Nina vor irgendjemand oder irgendetwas zu beschützen?« Ich beiße auf meine Unterlippe. »Das ist das Einzige, was …«
    »Wo willst du mittagessen?«, fragt Sean plötzlich laut. Er legt mir den Arm um die Taille und zieht mich an sich. Eden läuft gerade an uns vorbei und geht mit schnellen Schritten den Hügel hinauf. Sean umarmt mich, bis sie uns passiert hat.
    »Vielleicht ist sie auch nur ein Kontrollfreak«, sagt er dann leise. »Jemand, der die Macht nicht gern aus der Hand gibt.«
    »Scheiß drauf«, spucke ich. »Ich gehe da noch mal rein.«
    »Was willst du machen?«
    »Weiß ich noch nicht.« Ich beschleunige meine Schritte. »Mich genau umsehen oder so. Das überlege ich mir, wenn ich dort bin.«
    Ich stoße die Tür noch einmal auf. Das Mädchen, das sich gerade die Brustwarze hat piercen lassen, steht vor der Couch und redet mit ihrer Freundin. »Nein, ehrlich«, sagt sie. Mit dem Zeigefinger zieht sie ihr enges Tanktop vom Körper weg und linst in ihren Ausschnitt. »Es hat nur ein bisschen gepikst. Mike hat mit Sicherheit schon tausendmal härter reingebissen! Du solltest dir auch eins machen lassen, dann wären wir Nippel-Zwillinge!« Sie beugt sich nach vorne und ihre Freundin schaut in ihren Ausschnitt. »Schau doch. Ist das nicht süß?«
    »Ooooooh«, macht ihre Freundin mit der Stimme, die normalerweise für Babys und Welpen reserviert ist.
    »Süüüüß.«

    Ich gehe zur Kasse. Der dunkelhaarige Typ, Ron, steht hinterm Tresen. Er lehnt sich dagegen und liest in einer Zeitschrift namens Terminal Ink . Auf dem Titelblatt ist ein Mädchen im Vierziger-Jahre-Badeanzug abgebildet. Es ist über und über mit Tattoos bedeckt. Er nickt beim Lesen, als stünde dort etwas, dem er voll und ganz zustimmt.
    Hinter ihm ist der Vorhang einen Spaltbreit geöffnet. Ich muss da rein.
    »Ich hätte gern ein Tattoo«, platze ich heraus.
    Er schaut auf. »Warst du nicht gerade schon mal hier und hast mit Eden geredet?«
    »Das stimmt«, sage ich. »Ich wollte eines, hab aber dann Schiss gekriegt.« Ich kaue mit gespielter Verlegenheit auf meiner Unterlippe herum. »Nadeln, iiiihhh!« Dann hebe ich die Hände und wedele mit ihnen herum. »Aber ich will unbedingt eins.« Ich improvisiere frei, aber irgendwie fühlt es sich richtig an.
    »Dein erstes?«, fragt er. Ich nicke. »Weißt du schon, was du möchtest?«
    »Äh… nö«, gebe ich achselzuckend zu. »Das überlege ich mir, während ich warte.«
    Ron sieht mich misstrauisch an.
    »Ich bin ganz schön durchgeknallt«, erkläre ich.
    »Das mögen wir hier«, sagt er und fängt an zu lächeln. »Aber ich habe eine Frage, Miss Durchgeknallt. Bist du schon achtzehn?«
    »Na klar«, sage ich. Und dann verdrehe ich die Augen, obwohl mir nicht ganz klar ist, was ich damit meine.
    »Hast du einen Ausweis?«

    Mein Herz rast. Ich ziehe Ninas Pass aus meiner hinteren Hosentasche, klappe ihn ohne nachzudenken auf und lege ihn auf den Tresen. Ron nimmt ihn, schaut ihn an, dann mich, dann wieder das Foto. Ich versuche, ein Nina-Gesicht aufzusetzen. Freundlich und charmant, dabei aber cool und unantastbar. Wahrscheinlich fange ich vor lauter Anstrengung dabei an zu schielen, aber das ist egal, denn Ron nickt.
    »Okay, Nina«, sagt er und reicht mir den Pass. »Dein Haar hat mir früher besser gefallen«, fügt er hinzu. Er spricht von Ninas Haar – auf dem Foto ist es pink.
    »Mir auch«, sage ich. Ein seltsamer Teil von mir bekommt langsam Spaß an dem Spiel.

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