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Mottentanz

Mottentanz

Titel: Mottentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Weingarten
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runterschalten?«, fragt Sean, ohne mich anzusehen.
    »Geht schon«, sage ich.
    »Wie bitte?«
    »Ist gut so.«
    »Okay«, sagt Sean.
    »Okay«, sage ich. »Danke, dass du gefragt hast.«
    »Kein Thema«, sagt Sean. So ist es, seit er mit den Sandwiches zurückgekommen ist: Schrecklich, verklemmt, seltsam. Als hätten wir keine Ahnung, wie wir miteinander reden sollen.
    »Schau mal, wie höflich sie zueinander sind«, sagt Jamie-Girl. »Das ist soooo süß. Er behandelt sie wie eine Lady. Warum behandelst du mich nie wie eine Lady?«
    »Vielleicht mache ich das, sobald du dich wie eine Lady benimmst«, sagt Jamie-Boy. Im Rückspiegel sehe ich, wie er ihr an den Busen grapscht. Sie quietscht und fängt an zu kichern.
    Mehr Bilder von gestern Nacht steigen in mir auf – ich schließe die Augen. Sean streicht mir übers Haar. Sean küsst
meinen Hals. Seans Hände auf meinen… Ich schaue ihn an, er starrt auf die Straße. Er dreht sich nicht mit einem Grinsen zu mir um, macht kein komisches Gesicht und verdreht nicht mal die Augen über die Jamies. Mein Herz sinkt und eine Woge der Einsamkeit schlägt über mir zusammen. Sind wir noch dieselben Menschen, die gestern Nacht all das gemacht haben? Es fühlt sich an, als wären hundert Jahre seitdem vergangen, oder als hätte ich mir das alles nur ausgedacht. Ich denke zurück an den Samstagnachmittag, an dem er im Café aufgetaucht ist, an den Freitag, als er mich auf der Party anstarrte. Jetzt fühle ich mich ihm fremder als an dem Tag, an dem wir uns das erste Mal begegnet sind. Meine Augen sind voller Tränen, die unbedingt fließen wollen. Ich schlucke heftig und erinnere mich daran, dass ich nur hier bin, um Nina zu finden, und dass die Sache mit Sean nichts bedeutet.
    Aber ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass ich da falschliege.
    Ich wette, Nina musste noch nie einen solchen Morgen erleben. Ihr war nie etwas unangenehm, sie fühlte sich immer wohl, ungeachtet der Situation und egal, mit wem sie zusammen war. Das gehörte wahrscheinlich zu den Eigenschaften, die sie für andere Menschen so anziehend machten. Sie war immer entspannt. Ich will sagen: Warum können wir nicht normal miteinander umgehen? Ich will sagen: Magst du mich denn nicht mehr? Aber stattdessen hüstele ich nur, denn ein besser passender Gesprächsbeginn fällt mir nicht ein.
    »Alles okay?«, fragt Sean.
    »Ja. Ich habe nur einen Frosch im Hals.«

    Pause.
    »Das hasse ich«, sagt er.
    Pause.
    »Ich auch«, nicke ich.
    Dann wieder Schweigen. Wenn wir Nina wirklich finden sollten, dann muss ich sie fragen, was man in einer solchen Situation sagen soll. Denn jetzt lege ich nur meinen Kopf ans Fenster und starre nach draußen.

Kapitel 24

    Hier ist es wie auf einem fremden Planeten: Riesige grüne Röhren mit stachligen gelbroten Kugeln stehen neben kohlkopfgroßen Blumen mit zentimeterdicken Blütenblättern und zarten, drei Meter langen Stielen, die ihre eleganten Pflanzenarme gen Himmel strecken. Die Sonne geht gerade unter und färbt den Himmel in leuchtenden Rosa- und Orangetönen. So einen Sonnenuntergang habe ich noch nie gesehen. Die Farben sind irgendwie leuchtender und das Licht ist anders. Ich weiß es nicht. Aber mein Gehirn hat entschieden, dass wir nicht länger auf der Erde sind, eine Annahme, für die diese seltsamen Pflanzen, die staubtrockene Luft und die roten Berge in der Ferne als Beweise gelten. Aus diesem Grund reisen Menschen wahrscheinlich. Umgeben von all dieser Natur habe ich plötzlich Probleme, an meiner eigenen Traurigkeit festzuhalten. Sie ergibt keinen Sinn mehr. Nichts ergibt mehr Sinn.
    Wir sind stundenlang gefahren und haben die Wüste von Arizona erreicht.
    »Noch zwei Meilen auf dieser Straße«, liest Jamie-Boy von einem Ausdruck ab. »Dann noch einmal links abbiegen, dann sollte der Klub rechts von uns sein.« Wir fahren weiter
und sehen ein paar Minuten später eine lange Menschenschlange am Straßenrand stehen, neben einer langen Reihe geparkter Wagen.
    »Das muss es sein«, sagt Sean.
    Jamie-Girl klatscht in die Hände. »Juchuuuu!«
    Sean parkt am Ende der Reihe und wir steigen aus. Die Jamies schleppen ihre riesige Tasche mit.
    »Die könnt ihr im Auto lassen«, sagt Sean. »Oder wollt ihr sie während des Konzerts mit euch herumschleppen?«
    »Klar«, sagt Jamie-Boy. »Das ist doch der Sinn der Sache.« Er stellt die Tasche auf den staubigen Boden und macht den Reißverschluss zur Hälfte auf. Er holt zwei schwarze T-Shirts heraus und reicht eines

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