Mottentanz
kenne sie…«
Die Badezimmertür öffnet sich einen Spaltbreit, eine Spur Dampf entweicht. Es sieht aus wie Rauch. »… und Sean kannte sie auch.«
»Wa…«, beginne ich zu sagen. Doch bevor ich noch irgendein weiteres Wort herausbringe, öffnet sich die Badezimmertür.
Ich klappe das Handy zu und schleudere es auf das Bett, genau in dem Moment, in dem Sean aus dem Badezimmer auftaucht, mit feuchten Haaren, ein weißes Handtuch um seine Hüften gebunden, ein anderes um seinen Hals gehängt.
»Du bist wach«, sagt er. Er nimmt eine Ecke des Handtuches um seinen Hals und trocknet sich das Gesicht ab. Es ist von der Hitze ganz rot geworden.
»Ich bin wach«, sage ich. Panik durchströmt mich. Doch
irgendwie schaffe ich es, mein Gesicht zu etwas zu verdrehen, das einem Lächeln ähnelt.
»Du siehst aus, als würde es dir heute Morgen besser gehen«, sagt er.
»Ja«, entgegne ich. »Vielleicht ein kleines bisschen.«
Mein Verstand rast. Max. Der Kerl, den ich von Attic aus angerufen habe, der Kerl, dessen Telefonnummer auf der Zeichnung stand, ist derselbe Kerl, der mich gerade eben auf Seans Handy angerufen hat. Doch wie ist er an Seans Nummer gekommen? Ich habe doch ihn angerufen. Ich greife nach meiner Jeans, hebe sie auf und fische die Papp-Kreditkarte aus meiner Gesäßtasche. Es ist die Nummer auf der Zeichnung, die Sean am Samstag ein paar Stunden, nachdem wir mein Haus verließen, angerufen hat!
Was zur Hölle soll das alles bedeuten? Es bedeutet, dass Sean ein paar Dinge verbirgt und wahrscheinlich in ein paar Angelegenheiten lügt. Bedeutet das… dass Sean auch bezüglich Ninas Tod gelogen haben könnte?
Dieser einfache Gedanke bewirkt, dass in mir etwas geschieht. Hoffnung keimt auf. Der Kerl am Telefon meinte, er kennt Nina. Er kannte sie nicht. Er kennt sie. Wenn man sie kennen kann, müsste sie am Leben sein. Ich fühle, wie sich mein Mund zu einem Lächeln verformt, und höre schnell damit auf.
Sean läuft herüber und steht vor mir, seine Brust ist mit Wassertropfen bedeckt.
»Warum schaust du dir die an?«, fragt Sean. Er starrt auf die Papp-Kreditkarte in meiner Hand.
»Weiß ich nicht«, sage ich. Ich schaue auf.
»Ich denke, es ist Zeit loszulassen, Ellie«, sagt er. Sean grapscht mir die Karte aus der Hand. Die kleine Zeichnung, die Nina von mir gemacht hat, blickt mich an. Ich sehe verängstigt aus.
Sean läuft zum Badezimmer.
»Warte!«, sage ich.
»Ich tue dir einen Gefallen«, ruft er.
»WARTE!«
Er schließt die Tür hinter sich, eine Sekunde später höre ich die Klospülung.
Sean kommt zurück ins Schlafzimmer. »Nachdem Jason gestorben war, gab es bestimmte Dinge, an die ich mich geklammert habe, Dinge, die mich an ihn erinnert haben, und ich konnte nicht weitermachen, bis ich sie losließ.« Er lächelt mich an und streckt die Hand aus, um mein Gesicht zu streicheln. »Ich glaube, es wird dir helfen, das nicht mehr in deiner Nähe zu haben«, sagt er. Dann nimmt er das Handtuch um seinen Hals und beginnt, seinen feuchten Kopf zu reiben. Ich starre ihn an. Wer ist diese Person, mit der ich die letzten fünf Tage verbracht habe? Mit der ich das Bett geteilt habe? Ich fühle mich plötzlich, als hätte ich ihn noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.
Sein linker Arm ist oben hinter seinem Kopf, die Haut zwischen seinem Ellbogen und seiner Achselhöhle ist mit diesen dünnen weißen Narben bedeckt. Ich erinnere mich daran, wie ich sie vor drei Nächten betrachtet habe, als wir betrunken im Hotelzimmer lagen. Ich erinnere mich daran, wie ich dachte, dass sie zwar chaotisch, aber auch irgendwie schön wirkten. Als ich sie jedoch jetzt anstarre, fangen sie an,
anders auszusehen. Sie sind überhaupt nicht chaotisch, es gibt unter ihnen eine Ordnung, eine Struktur im Durcheinander.
Buchstaben. Es sind Buchstaben. Hineingeritzt und dann ausschraffiert, als ob er versucht hätte, sie unleserlich zu machen. Aber wenn man weiß, wonach man suchen muss, kommen sie zum Vorschein. Vier Buchstaben. In seine Haut geritzt.
NINA.
Ich kann nicht atmen.
Ich will, dass ich mir das nur einbilde. Aber nun, da ich es einmal gesehen habe, ist es nicht mehr zu übersehen. Da ist ihr Name. Er war schon die ganze Zeit dort.
Mein Hirn gerät außer Kontrolle. Ich fühle, wie sich meine Lippen voneinander trennen, ich kann nicht atmen. Sean blickt in mein Gesicht. Ich sehe nach unten.
»Ich glaube, ich gehe duschen«, schaffe ich gerade noch zu sagen.
»Okay«, lächelt Sean zuckersüß. Er
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