Mount Dragon - Labor des Todes
trainiertes Pferd und körperlich in weitaus besserer Verfassung als die zwei Tiere, die Carson mitgenommen hatte. Vermutlich hatte er sie am Anfang auch noch übermäßig angestrengt, weil er im Galopp vor den Geländewagen geflohen war. Das war für die Pferde schon mal ein schlechter Start gewesen, denn nur Idioten oder Schauspieler in Westernfilmen ritten häufiger im Galopp als unbedingt nötig. Wenn Carson und die Frau es durch die Wüste schaffen wollten, mußten sie es langsam angehen, und selbst dann würden ihre Pferde bald unter Wassermangel leiden. Nye rechnete sich aus, daß sie nach höchstens siebzig Kilometer zusammenbrechen würden, und auch das nur dann, wenn Carson untertags rastete und bloß in der Nacht ritt. Ansonsten würden sie bestenfalls die Hälfte dieser Strecke schaffen. Jedes Lebewesen, das bewegungslos im Sand lag - und sogar eines, das sich nur noch langsam und unsicher dahinschleppte -, würde sofort die Geier anziehen. Allein diese kreisenden Aasfresser würden Nye früher oder später verraten, wo Carson und die Frau zu finden waren.
Aber Nye kam auch ohne Geier aus. Das Spurenlesen war wie Musik oder Atomphysik gleichzeitig eine Kunst und eine Wissenschaft. Es erforderte großes technisches Wissen, gepaart mit genialer Intuition. Beides hatte Nye sich in der arabischen Wüste angeeignet und hier, in der Jornada del Muerto, im Laufe von vielen Jahren perfektioniert.
Nachdem er noch einmal seine Ausrüstung kontrolliert hatte, schwang Nye sich in den Sattel, ritt aus dem Stall und folgte im Schein des Feuers den Hufspuren von Carsons und de Vacas Pferden. Je mehr er sich von dem brennenden Laborkomplex entfernte, desto schwächer wurde das Licht der Flammen. Bald mußte Nye ab und zu die Taschenlampe einschalten, um die in südliche Richtung führenden Spuren weiterverfolgen zu können. Es war genau so, wie er es sich gedacht hatte: Sie hatten ihre Pferde galoppieren lassen. Das war gut so, denn für jede Minute Galopp am Anfang des Ritts würden die Pferde an dessen Ende zwei Kilometer früher schlappmachen. Carson und de Vaca hatten so deutliche Spuren hinterlassen, daß jeder Volltrottel ihnen hätte folgen können. Und es ist ja wirklich ein Volltrottel, der sie verfolgt, dachte Nye mit einem amüsierten Grinsen, als er die in wildem Zickzack durcheinanderlaufenden Reifenspuren sah, die den Huftritten der beiden Pferde nach Süden folgten.
Nye hielt sein Pferd an und starrte in die Dunkelheit. Eine Stimme hatte auf einmal seinen Namen gemurmelt. Nye drehte sich im Sattel, um zu sehen, wo sie herkam. Dann schüttelte er den Kopf und ließ das Pferd wieder antraben. Die Zeit, das Wasser und die Wüste arbeiteten alle für ihn und gegen Carson.
Carson blieb am anderen Ende des Lavafeldes stehen und sah nach Norden. Das breite Band der Milchstraße lief über den Himmel, bis es schließlich am weitentfernten Horizont verschwand. Carson kam sich vor wie ein Schiffbrüchiger in einem Meer aus Dunkelheit. Nur ein ganz leichter, rötlicher Schimmer im Norden zeigte noch an, wo sich der Mount Dragon befand. Die Lichter auf dem Sendeturm hatten aufgehört zu blinken, als die Generatoren kaputtgegangen waren.
Carson atmete tief die kühle Wüstenluft ein. Sie roch nach trockenem Gras.
»Wenn wir jetzt die Lava wieder verlassen, müssen wir unsere Spuren verwischen«, sagte er.
De Vaca nahm beide Pferde an den Zügeln und führte sie von dem Lavafeld herunter in die Dunkelheit. Carson folgte ihr und zog sich am Rand des Gesteins das Hemd aus. Dann kroch er auf Händen und Knien rückwärts über den Sand und wischte mit dem Stoff sowohl die Huftritte der Pferde als auch seine und de Vacas Spuren glatt. Carson wußte, daß man im Sand immer irgendwelche Spuren hinterließ, aber er bemühte sich, seine Sache so gut zu machen, daß wenigstens aus einem vorbeifahrenden Geländewagen nichts mehr zu erkennen war. Um sicherzugehen, glättete Carson die Spuren auf einer Strecke von etwa hundert Metern. Dann stand er auf, schüttelte sein Hemd aus und zog es wieder an. Die ganze Aktion hatte zehn Minuten gedauert.
»So weit, so gut«, sagte Carson, als er wieder bei de Vaca war und auf sein Pferd stieg. »Wenn wir von hier aus direkt nach Norden reiten, passieren wir Mount Dragon in einer Entfernung von etwa fünf Kilometern.« Carson blickte zum Himmel hinauf und suchte den Nordstern, bevor er Roscoe in einen lockeren, langsamen Trab fallen ließ diese Bewegungsart kostete ein Pferd am
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