Mount Dragon - Labor des Todes
mir klar, was Sie meinen, tippte er in seinen Laptop. Gut. Ich habe Ihren Aufzug bei der Servicezentrale als nicht betriebsbereit und in Reparatur befindlich angemeldet. Man müßte Sie also eine Weile in Ruhe lassen. Trotzdem würde ich mich an Ihrer Stelle dort nicht länger als unbedingt nötig aufhalten. Ich bleibe im Netz, solange ich kann, und manipuliere die Daten von Zeit zu Zeit so, daß man meint, die Reparatur würde Fortschritte machen. So erregen wir am wenigsten Verdacht. Mehr kann ich leider nicht für Sie tun. Vielen Dank, Clown. Nur eines noch. Sie haben neulich gesagt, daß das hier kein Spiel mehr sei, und jetzt möchte ich, daß Sie sich an Ihre eigenen Worte erinnern. GeneDyne faßt Eindringlinge nicht gerade mit Samthandschuhen an, egal ob im Cyberspace oder in der wirklichen Welt. Sie haben sich auf ein verdammt gefährliches Abenteuer eingelassen. Wenn man Sie entdeckt, muß ich mich leider zurückziehen, ich kann dann nichts mehr für Sie tun, und ich habe keine Lust, mich ein zweites Mal von einer Pharmafirma verarschen zu lassen. Wenn man herausfindet, was ich hier mache, wird man mir meine Computer wegnehmen, und ohne die ist mein Leben nicht mehr lebenswert. Das kann ich gut verstehen, antwortete Levine.
Es dauerte eine Weile, bis der Clown sich wieder zu Wort meldete.
Kann sein, daß wir nie mehr etwas miteinander zu tun haben werden, Professor. Ich möchte Ihnen nur noch rasch sagen, daß es mir eine Ehre war, Sie kennengelernt zu haben.
Das war es für mich ebenfalls. WDNWDMDT DFAKAZ. Wie bitte?
Nur ein kleines Sprichwort zum Abschied, Professor Levine, weiter nichts.
Das Display des Laptops wurde schwarz. Levine hatte keine Zeit, die mysteriösen Abschiedsworte des Clowns zu entziffern. Er holte statt dessen tief Luft und tippte einen weiteren Befehl ein:
Skalpell.
Mit einemmal war Boston verschwunden. Der atemberaubende Blick aus dem Aufzug war einfach weg. Das Bild vom Hafen war so realistisch gewesen, daß Levine sich einen Augenblick lang sogar voller Schrecken fragte, ob er nicht urplötzlich erblindet sei. Aber dann sah er, daß das gedämpfte Licht in der Aufzugskabine noch brannte. Es war nur der große Bildschirm vor ihm schlagartig dunkel geworden. Levine streckte die Hand aus und berührte die glasähnliche Oberfläche. Sie war hart und schwarz und ähnelte denen der Displays, die er schon vorhin im Gang gesehen hatte.
Dann war auf einmal der Aufzug doppelt so groß wie zuvor, und mehrere Geschäftsleute in Anzug und Krawatte sahen mit Aktentaschen in der Hand auf Levine herab. Fast hätte er den Computer von den Knien gestoßen und wäre aufgesprungen, aber dann fiel ihm ein, daß es ja wieder nur ein Bild auf dem Display war, das den Aufzug tiefer gemacht und mit Angestellten von GeneDyne bevölkert hatte. Levine fragte sich, was für eine Videoauflösung wohl vonnöten war, um solche lebensechten Bilder zu erzeugen.
Das Bild verschwand, und vor Levine gähnte ein schwarzes Loch. Dann sah er die graue Oberfläche des Mondes, die sich langsam und pockennarbig unter ihm bewegte. Dahinter konnte Levine die schmale Sichel der Erde sehen, die wie eine blaue Murmel in der schwarzen Ferne hing. Das Gefühl der Räumlichkeit war so überwältigend, daß Levine eine Weile die Augen schließen mußte, damit ihm nicht schwindlig wurde. Langsam ging ihm auf, was sich hier abspielte: Das Programm des Clowns, das sich immer tiefer in Scopes Privatcomputer wühlte, hatte offenbar die Software, die für die Bilder im Aufzug zuständig war, gehörig durcheinandergebracht. Dadurch wurden die verschiedenen Bildfolgen wie ein phantastischer Diavortrag nacheinander durchgespielt. Levine fragte sich, was für Szenerien Scopes wohl noch auf Lager hatte, um die Aufzugspassagiere zu erfreuen oder zu erschrecken.
Wieder wandelte sich das Bild. Diesmal bot sich Levine eine bizarre, dreidimensionale Stadtlandschaft mit vielen durch Fußgängerbrücken verbundenen Hochhäusern dar, die aus einer scheinbar bodenlosen Tiefe emporragten. Er selbst schien auf einem mit braunen, roten und gelben Terrazzoplatten gefliesten Balkon zu stehen. Von dem Balkon aus gingen mehrere Brücken und Steige ab. Manche liefen nach oben, manche nach unten und manche auf der gleichen Ebene in alle möglichen Richtungen. Einige führten so tief in den weiten Raum hinein, daß man ihr Ende nicht sehen konnte. Die Häuser zwischen diesen Gehwegen waren riesengroß und zeigten ab und zu einmal ein erleuchtetes
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