Mount Maroon
unserer Vorstellung gleichrangig nebeneinander, obwohl sie sich rein logisch gegenseitig ausschließen.“
Eine halbe Stunde später saßen sich Peter und Mr. Dick im mediterran anmutenden Restaurant des hoch gelobten Luigi gegenüber und bestellten auf besondere Empfehlung des Italieners
Sogliola alla fiorentina
, Seezunge auf Blattspinat.
- „Ich sage Ihnen, viele meiner Studenten würden tatsächlich sagen, die Katze sei zu 50 Prozent tot, was ganz sicher falsch ist. Ich habe mich wirklich nicht getraut, sie direkt danach zu fragen, hehehe.“
Peter stand mit den Naturwissenschaften auf Kriegsfuss. Er hatte lediglich verstanden, dass mehrere Zustände, die sich gegenseitig ausschlossen als gleichrangig behandelt wurden, und damit gewissermaßen nebeneinander zu bestehen schienen.
- „Das Doppelspaltexperiment und Schrödingers Katze, recht amüsant, aber was hat das alles mit mir zu tun?“
- „Sie wissen es, Peter, Sie wissen es. Gehen Sie einen Schritt weiter!“
Peter sah Mr. Dick in die Augen. In dessen Brille spiegelte sich Peters Kopf, zweimal, einmal in jedem Glas. Peter erschrak.
- „Sie meinen …“, er sah Mr. Dick nicken und sprach weiter, „die Koexistenz mehrerer Zustände?“
Jetzt sah Mr. Dick ihn an. Peter war unheimlich zumute. Er benötigte weitere Bausteine.
- „Arthur, Sie haben am Montag einen gewissen Raymond Myers erwähnt …“
- „Ja, ja, der gute Myers. Man hält ihn in Wissenschaftskreisen für einen Spinner. Aber mich haben seine Schriften immer interessiert. Aber fangen wir von vorne an. Raymond Myers war in jungen Jahren eines der größten Talente im Bereich der Quantenforschung. Mit 23 machte er seinen Abschluss in Harvard, mit 25 promovierte er. Danach wollte man ihn unbedingt halten, bot ihm eine hoch dotierte Dozentenstelle an, die er auch annahm. Das war 1985. Doch dann folgte ein Bruch in seiner Biographie, den niemand versteht. Er meldete sich krank und kündigte schließlich. Keiner weiß, was er in den nächsten zwei Jahren gemacht hat, aber 1987 ging er an die Universität von Fairfax, Virginia. Nach ein paar Jahren tauchten plötzlich wieder einige Publikationen auf und da war mir klar, warum es ihn nach Fairfax County gezogen hatte. Er muss intensiven Kontakt zu ehemaligen Mitarbeitern von Hugh Everett III. gehabt haben. Everett selbst starb 1982, aber seine Theorie hat natürlich überlebt.“
Mr. Dick runzelte die Stirn.
- „Sein Sohn Mark Oliver, ein bekannter Musiker, hat übrigens eine wirklich sehenswerte Videodokumentation zur Theorie seines Vaters angefertigt … Also, wie gesagt, Myers hatte wohl Kontakt zu Leuten, die sich mit Everetts Theorie beschäftigten …“
- „Was ist der entscheidende Punkt? Worauf wollen Sie hinaus?“
- „Nun, Everett löste das Problem des Physikers, ich meine, der Katze in Schrödingers Kasten, indem er sich vorstellte, es gäbe ein Universum, in dem der Physiker tot ist und ein anderes, in dem er lebt. Wir opfern demnach unsere Einmaligkeit und gewinnen dafür: Kohärenz! Ich würde es ja eher umgekehrt machen, aber nach Ihren Erfahrungen sollten wir diese Variante in Betracht ziehen.“
- „Meinen Sie das, von dem ich glaube, dass Sie es meinen?“
Wieder einmal zeigte Mr. Dick sein seltenes Froschgesicht.
- „Hugh Everetts Viele-Welten-Auslegung ist eine realistische Interpretation der Quantenmechanik. Die unterschiedlichen überlagerten Zustände, die sich in der Zeitentwicklung eines quantenmechanischen Systems zwischen zwei Beobachtungen ergeben, werden dabei in unabhängig voneinander existierende Welten verwandelt. Die Vorstellung erfordert allerdings die Akzeptanz der Existenz von Paralleluniversen. Everetts Antwort darauf, ob ein radioaktives Atom in einer Sekunde zerfällt oder nicht, ist also nicht ein
Entweder-oder
, sondern ein
Sowohl-als-auch
. Die Welt verzweigt sich und existiert fortan in mehreren voneinander unabhängigen Alternativen, wenngleich ein Transfer zwischen diesen Welten eigentlich nicht vorgesehen ist. Aber vielleicht hat es etwas mit diesem komischen Ding zu tun, was die da am Mount Maroon gebaut hatten, ich meine den unvollständigen Linac.“
- „Eine abgespaltene Realität?“, sagte Peter leise. „Sie meinen, es gibt einen Mount Maroon mit einem Labor und einen ohne?“
Das Essen kam. Mr. Dick nickte dem Kellner freundlich zu.
- „
Mille grazie!
“ Dann antwortete er Peter: „Nehmen wir einmal an, durch diese Explosion 1947 sei, wie auch immer, eine
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