Mozart - Sein Leben und Schaffen
»sicheren Hand das ausgeführt habe, was Gluck gefordert und in Worten ausgesprochen hatte, aber nicht selbst vollkommen in Tönen zustande bringen konnte.« Nein, Mozart ist kein unmittelbarer Nachfolger Glucks, keineswegs sein Erbe; vielmehr haben die beiden, wie auch Willibald Nagel in einer Studie über »Gluck und Mozart« dargetan hat, nur wenige äußere und keine inneren Berührungspunkte. Man vergleiche nur die Forderungen, die Gluck an die Oper stellte (s. Kapitel 8) mit Mozarts Bekenntnis vom 13. Oktober 1781: »Bei einer Oper muß schlechterdings die Poesie der Musik gehorsame Tochter sein. – Warum gefallen denn die welschen komischen Opern überall? – mit all dem Elend, was das Buch anbelangt! – sogar in Paris, wovon ich selbst Zeuge war. – Weil da ganz die Musik herrscht und man darüber alles vergißt. Um so mehr muß ja eine Oper gefallen, wo der Plan des Stücks gut ausgearbeitet, die Worte aber nur bloß für die Musik geschrieben sind und nicht hier und dort einem elenden Reim zu Gefallen (die doch bei Gott zum Wert einer theatralischen Vorstellung, es mag sein, was es wolle, gar nichts beitragen, wohl aber eher Schaden bringen) Worte setzen oder ganze Strophen, die dem Komponisten seine ganze Idee verderben. Verse sind wohl für die Musik das Unentbehrlichste, aber Reime – des Reimens wegen – dasSchädlichste. Die Herren, die so pedantisch zu Werke gehen, werden immer mitsamt der Musik zugrunde gehen. Da ist es am besten, wenn ein guter Komponist, der das Theater versteht und selbst etwas anzugeben imstande ist, und ein gescheiter Poet als ein wahrer Phönix zusammenkommen. Dann darf einem vor dem Beifall der Unwissenden auch nicht bange sein. Die Poeten kommen mir fast vor wie die Trompeter mit ihren Handwerkspossen! Wenn wir Komponisten immer so getreu unsern Regeln (die damals, als man noch nichts Besseres wußte, ganz gut waren) folgen wollten , so würden wir ebenso untaugliche Musik als sie untaugliche Bücheln verfertigen.«
Das sind grundverschiedene Welten. Demgegenüber haben einzelne Anklänge oder die Verwendung etlicher Errungenschaften Glucks durch Mozart nichts anderes zu bedeuten, als daß dieser sich eben alles zu eigen zu machen wußte, was ihm als gut erschien.
Es bleibt zu bedauern, daß Mozart sich nicht eingehender mit Glucks Auffassung von den Aufgaben der Oper beschäftigt hat. Denn seiner Natur hätte vor allem Glucks Auffassung, daß das Musikdramatische in der Betonung des Psychologischen liegt, zusagen müssen. Es ist natürlich müßig, sich auszumalen, wie dann wohl Mozarts weiteres Schaffen ausgefallen wäre. Aber sein » Idomeneo « würde dann auch noch heute auf unserer Bühne, wenigstens in dem Maße wie Glucks Werke, leben können. Denn daß in musikalischer Hinsicht dies Werk allen Opern Glucks überlegen ist, versteht sich bei der unendlich reicheren musikalischen Veranlagung Mozarts fast von selbst.
Dabei ist sicher, daß Stoff und Handlung des »Idomeneo« einem verständnisvollen Dichter, wie Gluck ihn gefunden hatte, sehr wohl die Möglichkeit geboten hätten, den Schwerpunkt des Dramas ins Seelenleben zu verlegen, wodurch Mozart gerade für seine musikalische Anlage die reichste Anregung gefunden hätte. Aber der Salzburger Hofkaplan Giambatt. Varesco , der von München aus mit der Abfassung des Textbuches beauftragt wurde, hat eine echt italienische Opera seria zu dichten getrachtet. Sein Vorbild war der als Dichter bei uns weit unterschätzte Metastasio, dem allerdings der versgewandteVaresco an eigentlichem dichterischen Vermögen nicht zu vergleichen ist. Alles, wozu sich Varesco bereitfinden ließ, vermutlich auf Mozarts Drängen, war das Bestreben, in reicherem Maße Ensemblesätze zu schaffen, diese nicht an den herkömmlichen Stellen einzuschieben, sondern aus dem dramatischen Gang herauswachsen zu lassen. Ein gleiches gilt für die Chöre, die hier zu einer dramatischen Bedeutung gesteigert sind, wie sie der italienischen Oper vollkommen fremd geworden war. Allerdings hätte nach beiden Richtungen hin mehr geschehen können. Vor allen Dingen ist der dritte Akt dichterisch zu sehr im Herkömmlichen stecken geblieben, was um so bedauerlicher ist, als dadurch auch Mozart in seiner musikalischen Entfaltung behemmter erscheint als im zweiten Akt. Auch die Sprache des Textbuches ist ganz in der überlieferten Art, ebenso die für die dramatische Wirkung ungemein schädliche und vor allen Dingen uns Heutigen unkünstlerisch berührende
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