Mozart - Sein Leben und Schaffen
rasches Aufbrausen, ein aufwallender Ärger, ein erlösendes Schimpfwort wie »der Lump«, und die Sache war abgetan. Ich gebe zu, daß das leichtlebig ist. Aber die Menschheit ist doch so glücklich über diese Kunst Mozarts, die ihr das Leben erleichtert. Wäre eine schwerblütige Natur imstande, solche Werke zu schaffen?
Es muß doch nachdenklich stimmen, wenn Mozarts Schwager Lange bekundet, daß Wolfgang dann am lustigsten und ausgelassensten sich gebärdet habe, wenn er sich mit schweren und großen Werken trug. Alles Genie ist ein Wunder und die Weg des künstlerischen Schaffens können nicht die des gewöhnlichen Lebens sein. Die Wege aber sind mannigfaltig. Bei Mozart vollzieht sich der eigentlich schöpferische Prozeß wie in einer anderen inneren Welt, die mit der äußeren gar nicht in Zusammenhang zu stehen scheint. Oder höchstens in dem, daß aus dieser äußeren Welt etwas in jene gewaltsam eindringen könnte. Da ist es dann, als hätte er dieser äußeren Welt alles das von seiner Persönlichkeit hingegeben, was mit dem eigentlichen künstlerischen Schaffen nichts zu tun hat, bloß um jene innere vollkommen freizuhalten. Denn es ist ja klar, daß, während jedes ernste Gespräch, jeder ernste Kunstgenuß ihm Geist und Seele beschäftigen mußten, diese völlig freiblieben, wenn er herumtanzte, wenn er Billard spielte, Kegel schob und lustige Spässe riß. Er wurde doch durch all diese Dinge nicht »zerstreut«, das beweisen hundert Tatsachen; vielmehr ging er nachher hin und schrieb. Schrieb seineKompositionen so, als ob er sie kopierte. Sie waren also doch offenbar in jenen Stunden geschaffen worden, in denen er ein Gebahren zur Schau trug, das die Welt für den bedeutenden Komponisten Mozart unbegreiflich fand. Gerade dann war er der große Schöpfer gewesen.
Ich würde mich auf alle diese Dinge nicht einlassen – ein Mensch, der uns so Wundervolles geschaffen hat, trägt die Rechtfertigung seines ganzen Tuns in seinen Werken –, aber wir müssen eben alles tun, um uns die Freude an der Gesamterscheinung eines solchen Künstlers nicht trüben zu lassen. Wir machen nun immer und immer wieder die Erfahrung – man denke an Goethe, an Beethoven, neuerdings an Richard Wagner –, daß große Künstler große Menschen waren. Je näher wir sie gerade in ihren intimsten Äußerungen kennen lernen, um so höher steigen sie als Menschen, um so schöner wird ihre Gesamterscheinung. Und darin liegt der große Wert aller solcher Untersuchungen. Bei Mozart trifft das gleiche zu. Seine Gesamterscheinung ist Notwendigkeit bei dieser Kunst, und diese Gesamterscheinung ist eine hoch erfreuliche, sobald wir sie nicht mit kleinlichen, beschränkten Augen ansehen.
Diese Erkenntnis gibt uns aber kein Recht, auf das Verhalten der Zeitgenossen großer Künstler verächtlich herabzusehen, weil sie nicht zu ihr gelangt sind. Denn diese Zeitgenossen sehen den Künstler in der Beschränktheit des Alltags, nicht als jene Gesamtheit, als die er uns Späteren erscheint. Und darum ist es natürlich, daß sie sich meistens beschränkt dem Künstler gegenüber erweisen. Mozarts Lebensumstände sind, wie gesagt, erst in den letzten Jahren so traurige geworden. Sicher stand er damals als Künstler bereits auf einer solchen Höhe, wo eigentliche Popularität nicht mehr möglich ist. Man denke an Goethe. Andererseits war er noch zu jung, um eine so überragende Stellung, wie dieser, einnehmen zu können. Dazu wäre es wohl erst gekommen, wenn sich das äußere Behagen des Lebens mit den festen Stellungen, die ihm in sicherer Aussicht standen, eingestellt hätte. Man muß auch bedenken, daß Mozart nach der »Entführung« zunächst keine Werke geschaffen hat, die ihn eigentlich volkstümlichmachen konnten. »Figaro« und »Don Juan«, die uns als so einzig erscheinen, waren für die Mehrzahl der Zeitgenossen italienische Opern, die mit den anderen italienischen in Wettbewerb traten und von diesen hinsichtlich der leicht faßlichen Sinnlichkeit geschlagen wurden. Die Popularität hätte unbedingt wieder eingesetzt mit der »Zauberflöte«, als der deutschen Oper. Diese Wirkung hat er aber nicht mehr erlebt. Die Tragik besteht also darin, daß er nicht vor die Aufgaben sich gestellt sah, in denen er damals seinem Volke ein einzigartiger Wert werden konnte. Das ist Tragik der gesamten deutschen Kulturentwicklung. Ich glaube nun, daß gerade die vornehmen Gönner und Freunde Mozarts über seine Notlage nicht recht unterrichtet waren.
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