Mozart - Sein Leben und Schaffen
Wenn, wie es in den Aufführungen der Berliner Hofoper seit Jahr und Tag geschieht, der Nachdruck auf die Ironie gelegt wird, stellt sich bei der Zuhörerschaft das überlegene Gefühl heiteren Spielens ein, bei dem die Entrüstung über die Frivolität gar keinen Platz hat. Man ergötzt sich an einigen komischen Situationen, erfreut sich an der Art, wie die beiden Liebhaber unter recht widersprechenden inneren Gefühlen in übertriebener Weise eine Liebe heucheln müssen, die sie gar nicht empfinden, hat bei allem das Gefühl, daß die beiden Mädchen gerade durch dieses Abenteuer erst recht erfahren, was sie dem Leben und der Liebe schuldig sind. Nach meinem Gefühl ist auch rein musikalisch niemals eine feinere Karikatur auf die italienische Oper geschrieben worden als hier. Es ist nicht Karikatur als Verzerrung, sondern sie erwächst aus der inneren Unwahrheit des Ganzen. Die Form steht in stetem Widerspruch mit dem Inhalt. Daß diese Formen trotzdem schön sein können, zeigt, daß sie eigentlich zu Klischees erstarrt sind. Mozart müßte nicht Mozart sein, wenn nicht an einigen Stellen das echte Empfinden erblühte, aber der lebendigen Aufführung gegenüber, und erst bei einer solchen hat man das Recht des Urteils, weil nur in ihr das Werk so vor uns hintritt, wie es gedacht ist, entsteht dann niemals ein Zweifel, wo ein wahres Empfinden seinen Ausdruck sucht, wo das Ganze nur Spiel ist. So glaube ich kaum, daß Mozart die Schöpfung dieses Werkes lange als Nötigung empfunden hat. Es muß ihm rasch aufgegangen sein, daß er hier vor einer ganz anderen Aufgabe stand, als sie ihm bislang gestellt gewesen. So freue auch ich mich mit Wagner, daß Mozart zu Cosi fan tutte nicht eine Musik geschaffen hat wie zu Figaro, besonders aber, daß er das gar nicht versucht hat, er vielmehr hier ein bewußt geistreiches Spiel und nicht Lebensausdruck anstrebte. So scheint mir auch gerade Cosi fan tutte noch nicht die Wirkung für die Folgezeit geübt zu haben, die davon ausgehen kann. Ich glaube, daß eine wirklich künstlerische Operette gerade von diesem Werke Mozarts in formaler und geistiger Hinsicht die fruchtbarste Anregung empfangen könnte. Nach der formalen Seite für die Ausnutzunggroßer Formen und die leichte Führung eines durchsichtigen Orchesters; im Geistigen für die Vermeidung jeder verzerrenden Karikatur und ihren Ersatz durch vornehme, überlegene Ironie.
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Vielleicht, daß Kaiser Joseph gerade aus Cosi fan tutte , das sich ja viel enger an die italienische Opera buffa anschließt, eine günstigere Meinung von Mozarts Fähigkeit zum Theaterkomponisten gewonnen hätte, als aus seinen unvergleichlichen Meisterwerken, und ihn danach häufiger mit Aufträgen bedacht hätte, wenn er nicht schon einen Monat nach der ersten Aufführung des Werkes gestorben wäre (20. Febr. 1790). Wir könnten es freilich nur schwer bedauern, wenn Mozart durch zwingende äußere Einflüsse noch öfter im Bereich der italienischen Opera buffa festgehalten worden wäre, den er selber so glücklich gesprengt hatte, so willkommen uns dieses eine Werk innerhalb der glänzenden Reihe seiner letzten Schöpfungen ist. Aber wir haben noch einen Fall, der ihn zur Dienstleistung innerhalb der italienischen Oper zwang, und hier zeigt sich die Ungunst dieser Kunstform in viel verhängnisvollerer Weise. Allerdings handelt es sich hier auch um eine opera seria , die nicht nur als Gattung uns Deutschen ferner liegt, als die opera buffa , sondern auch Mozarts Persönlichkeit ganz fremd geworden war. Der künstlerische Zusammenhang rechtfertigt es, wenn wir bereits hier
La clemenza di Tito
behandeln, obwohl wir damit dem biographischen Geschehen etwas vorgreifen.
Der Auftrag zu diesem Werke wurde Mozart Mitte August 179l von den böhmischen Ständen erteilt, die bei dieser Gelegenheit zeigten, wie hoch bei ihnen Mozarts Ansehen stand. Das Werk sollte als Festoper bei der Krönung des neuen Kaisers Leopold II. zum böhmischen Könige, am 6. September, aufgeführt werden. Abgesehen davon, daß kaum drei Wochen für die Fertigstellung zur Verfügung standen, fiel auch sonst der Auftrag in eine denkbar ungünstigeZeit. Mozart war voll von seiner Arbeit an der »Zauberflöte« und aufs tiefste gepackt durch den ihm so geheimnisvoll gewordenen Auftrag zum Requiem. Außerdem war er krank und zwang nur mit Mühe seinem Körper die außerordentliche Arbeitsleistung ab. Mozart reiste sofort nach Prag und arbeitete schon unterwegs; das im Wagen
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